Verdienst und Vorbehalt: Nils Havemann Fußball unterm Hakenkreuz

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Maderthaner, Wolfgang
Erschienen in:Anstoss: Die Zeitschrift des Kunst- und Kulturprogramms zur FIFA WM 2006, Nr. 4 (Februar bis April 2006)
Veröffentlicht:Berlin: 2006, S. 88-91, Lit.
Herausgeber:Nationale DFB Kulturstiftung WM 2006
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200912007587
Quelle:BISp

Abstract

In einer vorbildlichen Initiative hat sich der DFB Ende 2001 entschlossen, seine Rolle im Nationalsozialismus von einem unabhängigen Wissenschaftler (Nils Havemann) untersuchen zu lassen. Auslöser dafür war nicht zuletzt Arthur Heinrichs im Jahr zuvor erschienene „politische Geschichte“ des DFB. Hierin warf Heinrich dem DFB vor, offen mit dem Nationalsozialismus kollaboriert zu haben, weil sein eigenes Weltbild dem der politischen Herrscher nur zu sehr entsprochen habe. Beim im Jahr 2005 von Nils Havemann vorgelegten Buch „Fußball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz“ handelt es sich Verf. zufolge um ein „sonderbares Buch“. Havemann scheint der Form der Geschichtsschreibung anzuhängen, für die die eigentlichen Triebkräfte menschlichen Handelns „überzeitliche, mithin ‚zeitlose’ Phänomene des Alltäglichen und des Lebensweltlichen“ sind. Die Folge dieser Sichtweise ist, dass es bei Havemann in den Funktionseliten des DFB und des Nationalsozialismus gehörig „menschelt“. Der Leser von Havemanns Buch begegnet „Motiven wie ‚Prestige, Karriere, Ehrgeiz, Statusdenken’, der ‚Hoffnung auf ein besseres Leben’ und auf eine ‚bürgerlich wohlgeordnete Existenz’, dem ‚Drang nach wirtschaftlichem Gewinn’, ‚Gedankenlosigkeit, Selbstgerechtigkeit’, ‚Realitätsverdrängung, Egozentrismus’, dem erschwerten ‚Ausbruch aus vorgetrampelten Bahnen’, dem ‚Zwang zu konformem Verhalten’, dem ‚Hang, unangenehmen Wahrheiten aus dem Weg zu gehen’. Menschen sind wir eben alle.“ Verf. zufolge bleibt Havemanns Verständnis der politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Formationen von Faschismus und Nationalsozialismus „unbestimmt, fragmentarisch und bestenfalls moralisch grundiert“. Seit Jahrzehnten unternommene internationale Anstrengungen, Reflexionen und Analysen zur Erklärung des unerklärlich Scheinenden werden – so Verf. – von Havemann „im durchaus ehrlichen Bemühen um Distanz, Ausgewogenheit und historische ‚Gerechtigkeit’“ „geflissentlich ignoriert“. Aufgrund seines personalisierenden Ansatzes deckt Havemann zwar Widersprüche in den Lebensläufen der handelnden Personen (z. B. Sepp Herberger) auf, vernachlässigt Verf. zufolge jedoch Widersprüche jenseits des Persönlichen, die „das zentrale Thema von Havemanns Buch“ hätten werden können. „Dazu aber hätte es jenes theoretischen Instrumentariums bedurft, das der Autor [Havemann] so selbstgewiss verwirft.“ Insgesamt jedoch gesteht auch Verf. Havemanns Buch unleugbare Verdienste zu, „eröffnet es doch neue und nicht selten spannende Einsichten, erschließt es ein weites und bisher unbekanntes Terrain des Vergangenen“. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)