"Eigenwelt" Fußball: Unterhaltung für die Massen

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Autor:Herzog, Markwart
Erschienen in:Fußball zur Zeit des Nationalsozialismus : Alltag - Medien - Künste - Stars
Veröffentlicht:Stuttgart: Kohlhammer (Verlag), 2008, S. 11-35, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200806001701
Quelle:BISp

Abstract

Verf. zufolge ist in vielen früheren Publikationen zum Fußballsport in der Zeit des Nationalsozialismus – neben der fehlenden Bereitschaft, Archive auszuwerten – eine schablonenhaft simplifizierende und polarisierende Ideologiekritik zu bemängeln. „Die Bereitschaft zu nüchterner und differenzierter Analyse, die keine politisch-ideologisch vorgefassten Meinungen lediglich bestätigt sehen möchte, sondern auch Widersprüche und Gegensätze, Mehrdeutigkeiten und Ambivalenzen, unberechenbare Effekte und ungeplante Entwicklungen sowie Handlungs-, Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume der an der Geschichte des Fußballs beteiligten Akteure darstellt, war bis 2005 eher selten anzutreffen.“ Je tiefer sich die historische Forschung in die Archive und Quellen einarbeitet, desto offensichtlicher werden Diskrepanzen zwischen der Ideologie des NS-Staates und den sozialen Praktiken der Fußballvereine. Vieles von dem, was von der Reichssportführung politisch verordnet wurde, kam in den Vereinen nicht an. Insgesamt betrachtet lässt sich eine politische „Radikalisierung“ des DFB und seiner Vereine in der NS-Zeit nicht stichhaltig belegen. Sogar die Vermutung einer Militarisierung des Vereinssports infolge der Machtergreifung der NSDAP entbehrt einer stichhaltigen Begründung. Vielmehr konstituierte und konstituiert das Fußballspiel unabhängig von politischen Rahmenbedingungen und pädagogischen Funktionszuweisungen eine eigene Realitätsdimension bzw. eine „Eigenwelt“ mit spezifischen Handlungsroutinen und eigensinnigen Regeln. „Als relativ ‚autonomes Kulturelement’ und ‚leerer Signifikant’ kann er in komplexen Aneignungs-, Identifikations- und Umformungsprozessen mit ganz konträren moralischen Werten und höchst unterschiedlichem politischem Sinn aufgeladen werden und seinerseits die politischen Gegebenheiten für seine eigenen Zwecke instrumentalisieren.“ Auch eine Betrachtung der NS-Medien zeigt, dass der propagandistische Gehalt des Fußballs eher mager ausfällt. Unterhaltung und Massenvergnügen sind die dominierenden Aspekte. Somit gehört der Fußballsport „zu jenen leichten Themen der Unterhaltungsindustrie, die in allen politischen Kontexten funktionieren. Er erzeugt auf dem grünen Rasen und in den Medien für Massenstimmung, er hält bei guter Laune, sorgt für Ablenkung, Unterhaltung und Kurzweil.“ Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)