Der neue Diskurs über den Fußball

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Autor:Solbach, Andreas
Erschienen in:Abseits denken : Fußball in Kultur, Philosophie und Wissenschaft
Veröffentlicht:Kassel: Agon-Sportverl. (Verlag), 2004, S. 110-120, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200501000125
Quelle:BISp

Abstract

Seit etwa zehn Jahren sind immer mehr kulturwissenschaftliche Analysen des Fußballspiels erschienen, die die Berichterstattung Verf. zufolge auch in den Tageszeitungen revolutioniert haben. Die „Umlegung“ des Fußballs in die Kulturredaktion der Wochen-, aber auch Tageszeitungen ergab sich 1993 mit dem Buch von Helmut Böttiger „Kein Mann, kein Schuß, kein Tor: Das Drama des deutschen Fußballs“. Zu den weiteren in den nachfolgenden Jahren veröffentlichten im weitesten Sinne kulturwissenschaftlichen bzw. -theoretischen Büchern gehören [1.] Rainer Moritz’ launige und unterhaltsame Anthologien bzw. Kompendien mit nicht immer wirklich wissenswerten, aber unterhaltsamen Informationen (z. B. die Sammlung „Doppelpaß und Abseitsfalle: Ein Fußball-Lesebuch“, 1995, „Immer auf Ballhöhe: Ein ABC der Befreiungsschläge“, 1997, und „Vorne fallen die Tore: Fußball-Geschichte(n) von Sokrates bis Rudi Völler“, 2002), [2.] parteiliche Fußballbücher, die lustvoll die Ungereimtheiten und Unzulänglichkeiten aufzählen, die mit dem Fußball als Medienspektakel verbunden sind (z. B. „Zieht den Bayern die Lederhosen aus! Das FC Bayern Hass-Buch“ von Torsten Geiling und Nicolas Müller, 2002, oder „101 Gründe, ohne Fußball zu leben“ von Marko Lucht und Dirk Udelhoven), [3.] reine Bekenntnisliteratur (z. B. Nick Hornbys Roman „Fever Pitch“, 1992, „Fußball: Kleine Philosophie der Passionen“ von Johannes Dräxler und Harald Braun, 1998, Christoph Biermanns „Wenn du am Spieltag beerdigt wirst, kann ich leider nicht kommen: Die Welt der Fußballfans, 1995), [4.] weitgehend ironiefreie Produkte, in denen es primär um Informationen, Namen, Daten und Fakten geht (wie etwa das „Lexikon der Fußballmythen“ von Christian Eichler, 2000, Dietrich Schulze-Marmelings „Fußball: Geschichte eines globalen Sports“, 2000, oder „Der Ball ist rund, damit das Spiel seine Richtung ändern kann: Wie moderner Fußball funktioniert“ von Christoph Biermann und Ulrich Fuchs, 1999), [5.] fachwissenschaftliche Abhandlungen, seien sie sportsoziologisch, kulturanthropologisch, historisch, psychologisch oder sonst wie orientiert (z. B. „Über Fußball: Ein Lesebuch zur wichtigsten Nebensache der Welt“, herausgegeben von Wolfgang Schlicht, Werner Lang und Hermann Bausinger, 2000, oder „Warum Fußball? Kulturwissenschaftliche Beschreibungen eines Sports“ von Matías Martinez, 2002), [6.] kulturkritische Analysen des Fußballsports (z. B. „Gott ist rund: Die Kultur des Fußballs“ von Dirk Schümer, 1996). Schümer nutzt laut Verf. alle Möglichkeiten der mehrfachen Ironisierung auf überzeugendste Weise, dokumentiert dabei aber auch sein profundes Wissen und demonstriert bislang nicht übertroffene analytische Fähigkeiten. Es gelingt ihm, höchste Ironisierung mit überzeugender Kulturkritik auf höchstem Niveau zu verbinden. Alle kulturkritischen Analysen des Fußballs stimmen darin überein, dass das eigentliche Spiel gerade für die neuen Fußballbegeisterten nur Anlass und Teil eines größeren Erlebnisses ist, das alle bekannten kommerziellen Elemente umfasst. Die Art und Weise, in der über Fußball geschrieben wird, „nobilitiert“ den Gegenstand einerseits, andererseits reagieren die Texte auch auf eine veränderte Strukturposition, die der Sport als kulturelles Element mittlerweile einnimmt. Für eine gewisse Gruppe von Rezipienten ist Fußball noch nicht einmal das sportliche Erlebnis, sondern ein Kommunikationsereignis. Über Fußball zu sprechen, heißt an den wichtigsten kommunikativen Erlebnissen teilzuhaben und damit seine eigene Bedeutung zu erweisen und zu belegen. Deshalb neigen diese Diskurse dazu, den Fußball mit Literatur und Kunst zu vergleichen: Das Ziel ist die Ersetzung des Fußballs durch das Reden über Fußball. „Nach dem Spiel ist nicht mehr vor dem Spiel, sondern vor der Sprache. Der Redefluss wird nur noch von Fußballspielen als notwendigen Anlässen zum Weiterreden unterbrochen.“ Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)