Abseits denken : Fußball in Kultur, Philosophie und Wissenschaft

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Bibliographische Detailangaben
Herausgeber:Hütig, Andreas; Marx, Johannes
Veröffentlicht:Kassel: Agon-Sportverl. (Verlag), 2004, 216 S., Lit.
Ausgabe:1. Aufl.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Monografie
Medienart: Gedruckte Ressource
Dokumententyp: Sammelband
Sprache:Deutsch
ISBN:3897842424
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200501000119
Quelle:BISp

Abstract

Die in diesem Band enthaltenen Beiträge beleuchten mit vielen Details, Anekdoten und Zitaten die Geschichte, den Stellenwert und die Funktion des Fußballs ebenso wie seine Kommerzialisierung und Inszenierung. Der Fußball wird in seiner anthropologischen Bedeutsamkeit ebenso gewürdigt wie in seiner Relevanz für die moderne Gesellschaft. Dabei bemühen die Verf. der Beiträge sich explizit um verschiedene Perspektiven und Akzentuierungen. Josef Rauscher („Zur Dialektik von Ball und Kopf“) untersucht das dialektische Zusammenspiel von Ball und Kopf und entwickelt dabei über den Umweg des Fußes eine Gegenüberstellung zum Handball: die eigentlich geschicktere Extremität wird im Fußball tabuisiert, die ungeschickte freigestellt. Daraus lassen sich anthropologische Einsichten in das Grundverhältnis des Menschen zur Welt gewinnen, das stets von einem Wechselspiel zwischen denkerischer Planung und phänomenweltlicher Realisierung gekennzeichnet ist. Lars Niehaus („Das Unbehagen am Verein“) entwickelt die kulturphänomenologische These, dass das eigentlich Faszinierende das Unbehagen ist, das der Fußball bereiten kann. Gerade weil absolute Glückseligkeit im Schöpfungs- wie im Spielplan nicht vorgesehen ist, die nächste Niederlage nicht verhindert werden kann, gerät der Fan in existentiell aufreibende Situationen, die er nicht freiwillig verlassen kann. Ebenfalls aus phänomenologischer Perspektive entwickelt Oliver Immel („Der Ball im ‚Gehäuse’“) aus der Binsenweisheit, dass der Ball rund ist, eine strukturontologische Beschreibung dieses runden Gegenstandes und der Art der menschlichen Begegnung mit ihm. Selbst die Existenz verschiedener Fankulturen lässt sich so aus der Rundheit des Balls verstehen, ebenso wie die Unversöhnlichkeit dieser Kulturen untereinander – schließlich kann das Runde nur in das Eckige gehen. Dem Einfluss des kulturellen „Gehäuses“ ist dann fast nicht zu entkommen. Dass auf der anderen Seite aber ein reflektierte Haltung zum Fußball auch nicht unmöglich ist, zeigt Andreas Hütig in seinem Text („Flankengötter und Ballartisten“). Er setzt Fußball in Beziehung zur modernen Gesellschaft, vergleicht ihn mit dem Mythos, der Kunst und dem Katholizismus und geht auf die interne Entwicklung der Fußballregeln und Spielsysteme ein. Daraus gewinnt er Belege für die These, dass der moderne Fußball ein Phänomen eigener Art ist – und für die Forderung, dass Fußball unbedingt modern zu spielen sei. Auch Jörg Lauster („Fußball – Spiel des Lebens“) versucht Fußball im Vergleich mit und in Abgrenzung von anderen Praxen und Erfahrungen zu bestimmen. Von der beglückenden und erhebenden Freiheitserfahrung ausgehend, die dem Spiel und der ästhetischen Erfahrung eigen ist, tritt er Thesen entgegen, die im Fußball eine Ersatzreligion sehen, weil entscheidende Dimensionen des Religiösen fehlen. Wenn Fußball also allenfalls ein quasireligiöses, aber eigentlich ein innerweltliches Phänomen ist, so erlaubt seine momentane Bedeutung Folgerungen in Bezug auf das Selbstverständnis des Sportlers und seine gesellschaftliche Position. Karen Joisten („Wenn Gott den Ball versenkt“) beschreibt unter Rückgriff auf Nietzsche und Camus die Bedeutung des Leistungssports und seiner Rezeption unter der Bedingung des Todes Gottes, der von Nietzsche festgestellt und im 20. Jahrhundert selbstverständlich geworden ist. Fußball ist dann der Versuch, durch Überhöhung des eigenen Körpers und durch superlativische Gigantomie die Sinnlosigkeit der Gegenwart zu überwinden oder zumindest kurzzeitig zu vergessen. Volker Caysa („Hochsterilisiert“) formuliert eine heitere Kritik der Medien-Event-Kultur, durch die Fußball zum inszenierten Spektakel und zur Theaterkunst wird, die die Massen berauschen, dabei aber ruhig stellen soll. Seiner Analyse zufolge funktioniert dies über eine Herrschaft der Bilder über den Sport, die bis hin zu inszenierter Intimität etwa in den Hotelzimmern der Spieler bei großen Turnieren reicht. Christian Schärf („Das Drama der jagenden Meute“) sieht das Spezifische des gegenwärtigen Umgangs mit Fußball darin, dass er auf drei verschiedenen Ebenen abläuft bzw. sich in drei Medien bewegt: im Medium der Arena hilft Fußball der kaltgestellten Masse bei der Entladung ihrer starken Effekte, im Medium des Theatralen ermöglich er die Reflexion kultureller Praxen, weil er die grundsätzliche Offenheit des menschlichen Lebens überhaupt thematisiert. Im Medium des Lesens schließlich erlaubt er die Transformation dieser Reflexion hin zu einer souveränen Intellektualität des Kreativen, der als Experte das Spiel lesen wie auch gestalterisch eingreifen kann. Dabei droht aber zugleich die Gefahr einer dogmatischen Expertenkultur – eine ganz eigene Dialektik der Fußballaufklärung. Andreas Solbach („Der neue Diskurs über den Fußball“) untersucht auf einer Metaebene die feuilletonistische und kulturwissenschaftliche Betrachtung des Fußballs und fragt nach Gründen für den Wandel in derselben. Seine These ist dabei, dass es Tendenzen gibt, den Fußball selbst nur noch als Anlass für endloses, selbstverliebtes Reden zu gebrauchen. Markus Katzenbach („Der Ball, er tanzte auf dem Rasen“) unternimmt einen Streifzug durch die deutschsprachige Literatur, die den Fußball behandelt, wobei insbesondere Ror Wolf und Eckhard Henscheid herausgehoben werden. Dabei findet sich genügend Material für die These, dass der Fußball poesiefähig geworden ist, weil und indem er mit Leidenschaft und Kompetenz behandelt wurde. Matias Martinez („Geflügelte Fußball-Worte“) untersucht die Form und Funktion von Fußballweisheiten und -phrasen und entwickelt eine heitere Typologie der unglaublichsten Sprachakrobatik. Aufgrund der Verbreitung und medialen Aufbereitung dieser Phrasen stellt er eine Verbindung mit Georg Büchmanns „Citatenschatz des Deutschen Volkes“ her und zeigt Analogien, aber auch den Wandel der Funktion solcher Weisheiten. Christoph Wagner („Wir sind wieder wer!“) nimmt das „Wunder von Bern“ zum Anlass, den Einfluss von Fußball auf Nationalbewusstsein und Selbstwertgefühl zu untersuchen. Dabei differenziert er anhand der jungen Bundesrepublik, südamerikanischer und afrikanischer Staaten zwischen verschiedenen Varianten des Topos „Wir sind wieder wer!“ Die nach außen gewandte Seite solcher Identitätsbildung kann in Konflikte religiöser, politischer oder kultureller Natur münden, die sich in fußballerischen Ereignissen und Rivalitäten entladen können. Solchen Entladungen geht Wolfgang Muno („Endspiel“) anhand lateinamerikanischer Beispiele, aber auch europäischer wie dem faschistischen Spanien nach und bestätigt damit die oft geäußerte Nähe von Fußball und Krieg. Roman Buß („‚Global(l)isierung’ oder was?“) untersucht die Auswirkungen der Globalisierung auf den Fußball und seine Erscheinungsformen und stellt bis in die Spielsysteme reichende Konsequenzen fest. Johannes Marx („Elf Freunde müsst ihr sein!“) untersucht mit sozialwissenschaftlichem Instrumentarium gruppendynamische Prozesse in Fußballmannschaften und überprüft so vor allem die alte These, dass eine erfolgreiche Mannschaft aus elf Freunden bestehen muss – geradezu exemplarisch für Erkenntnisgewinn durch Anwendung wissenschaftlicher Theorien stellt sich heraus, dass solche Alltagsweisheiten auch aus wissenschaftlicher Sicht Gültigkeit haben. Der Band schließt mit einem Interview mit dem Fußballtrainer Jürgen Klopp, geführt von Daniel Meuren („‚Im Grunde denke ich dauernd nach.’ Die Wahrheit liegt auf dem Platz“). Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)