Eine überschaubare Welt

Gespeichert in:
Bibliographische Detailangaben
Autor:Braun, Sebastian
Format: Internetquelle (Fachinfoführer Sport)
Medienart: Elektronische Ressource (online)
Dokumententyp: Fachbuch, Bericht, Studie
Dateiformat:pdf
Umfang:15 Seiten
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
DDR
Online Zugang:
Erfassungsnummer:WE020101000183
Quelle:BISp

Abstract des Autors

Die Metapher von den "Diplomaten im Trainingsanzug" ist dem Sportinteressierten in Ostdeutschland nicht weniger geläufig als die Namen Boris Becker, Franz Beckenbauer, Steffi Graf oder Michael Schumacher in Westdeutschland. Als Symbole für die vermeintliche Systemüberlegenheit des sozialistischen Staates zwischen Oder und Elbe sind die außenpolitischen Repräsentanten des DDR-Sports ebenso in Erinnerung geblieben wie als Innbegriff für die besondere Bedeutung, die dem
Spitzensport in Staat und Gesellschaft der DDR beigemessen wurde. Was unterhalb des seinerzeit hochentwickelten Systems der sportlichen Elitenbildung ablief, ist unterdessen kaum noch eine Schlagzeile wert – und dies, obwohl der Sport auch jenseits des Leistungs- und Spitzensports eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte, gehörte es doch "mit zu den
ideologischen Leitlinien von Staat und Gesellschaft […], den Sport als wichtigen Bestandteil eines Normensystems für die kontrollierte Gestaltung der Freizeit einzusetzen". Organisatorischer Hintergrund des sogenannten Massensports waren die Sportgemeinschaften, die als staatsnahe Institutionen in die Umsetzung der Politik von Staat und SED integriert waren. Dies alles änderte sich mit der staatlichen Vereinigung schlagartig. Artikel 39 des Einigungsvertrages hatte es eindeutig bestimmt: Die Strukturen des Sports im "Beitrittsgebiet" sollten "auf Selbstverwaltung umgestellt" werden und die öffentlichen Hände "den Sport ideell und materiell nach der Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes" fördern. Im Prinzip war damit ein "Institutionentransfer" (auch) für den organisierten Sport festgeschrieben: Einerseits wurden die staatliche und verbandliche Sportpolitik und -administration von West- auf Ostdeutschland übertragen. Diese Übertragung wurde auf der Grundlage von Richtlinien, finanziellen Transfers, Förderprogrammen etc. durch westdeutsche Akteure – insbesondere durch die Bundesregierung und die Spitzen der Landesregierungen wie auch die Dachverbände des Sports –
initiiert und vollzogen. Andererseits wurde auf Landes- und kommunaler Ebene das westdeutsche Institutionensystem eingeführt: Für die Gründung der Landessportbünde, Fachverbände, Kreis- und Stadtsportbünde bildeten die Institutionen Westdeutschlands ebenso die "Blaupause" wie für die Gründung der Sportvereine, die im Rahmen einer Politik der staatlichen Vereinigung unter Zeitdruck
im Schnellverfahren auf Selbstorganisation umgestellt und in die "Autonomie" entlassen wurden. Vor diesem Hintergrund stellen sich eine Reihe von bislang offenen Fragen: Wie vollzog sich eigentlich der Übergang von der Sportgemeinschaft zum Sportverein in der sozialen Praxis? Gab es in den Vereinen ein Potenzial von Mitgliedern, die sich an der Selbstorganisation beteiligten? Und wenn ja, wer beteiligte sich während und in den Jahren nach der turbulenten Wende an der Ausgestaltung der "transplantierten Organisationshülsen" vor Ort? Und was ist daraus
geworden? Welches Bild gibt die ostdeutsche Sportvereinslandschaft also rund ein Jahrzehnt nach
der staatlichen Vereinigung ab? Diesen Fragen wird im Folgenden auf empirischer Basis nachgegangen, wobei verschiedene Datenquellen herangezogen werden.