„Berlin hat Talent“ : Ergebnisse der Untersuchungen in Berlin im Schuljahr 2015/16

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Zinner, Jochen; Becker, Markus; Heinicke, Winfried; Strunz, Janine
Veröffentlicht:Berlin: 2017, 34 S., Lit.
Beteiligte Körperschaft:Landessportbund Berlin ; Berlin / Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport; Deutsche Hochschule für Gesundheit & Sport / Institut für Leistungssport & Trainerbildung
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Monografie
Medienart: Gedruckte Ressource Elektronische Ressource (online)
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU201811008368
Quelle:BISp

Einleitung

Die Untersuchungen von 7133 Drittklässlern1 aus 122 Berliner Schulen im Schuljahr 2015/16 bestätigen und untermauern die von uns bei nunmehr fast 21.000 in den letzten 5 Jahren untersuchten Schülern erreichten Befunde eindrucksvoll: Unsere Berliner Schüler verfügen in diesem Altersbereich – ganzheitlich gesehen – über eine gute körperliche Fitness und gute motorische Fähigkeiten. Es gibt insbesondere mehr überdurchschnittliche und weniger unterdurchschnittliche motorische Leistungen als im bundesweiten Vergleich zu erwarten sind.
Auffällig sind allerdings bezirkliche Unterschiede: So sind beispielsweise 19% der Schüler von Treptow-Köpenick, aber nur 11% der Schüler von Tempelhof überdurchschnittlich körperlich fit, 42% der Lichtenberger Schüler sind in Sportvereinen organisiert, in Charlottenburg sind das 51%. Der Einfluss der Vereine auf den Fitnessstand der Schüler ist flächendeckend in Berlin stark signifikant: 22% der Schüler aus Vereinen sind überdurchschnittlich fit, sonst nur 9%.
Unsere Drittklässler können – entgegen dem Stigma - auch rückwärts balancieren, sind nicht übergewichtig und platzen schon gar nicht auf wie Popcorn. Sie bewegen sich gerne und benennen zu bemerkenswerten 67% den Sport als Hobby. Diejenigen Schüler, die in einem Sportverein sind, finden in ihm Freunde und profitieren in ihrer Sozial- und Bewegungskompetenz beeindruckend von der Aktivität dort. In der Selbstwahrnehmung sehen sich unsere Drittklässler in der „breiten Mitte“ als sportlich und ganz überwiegend als glücklich. Auch wenn jeder Dritte der im Schnitt achtjährigen bereits einen eigenen Computer, ein eigenes Handy oder einen eigenen Fernseher - etwa 10% sogar alle drei Medien zusammen - nutzen, sind sie nicht am liebsten am Computer, sondern spielen gerne draußen und wollen sich dabei auch anspruchsvoll bewegen. Diese modernen, mehr und mehr auch bereits in die Lebenswelt der Drittklässler rückenden Medien müssen – zumindest in diesem Alter – also keine Bewegungskiller sein! Insgesamt lassen unsere Befunde - und immer öfter auch umfangreiche Untersuchungen anderer Wissenschaftsteams - massive Zweifel an den inflationären Bekundungen des gravierenden Rückgangs der motorischen Leistungsfähigkeit zumindest in diesem Altersbereich aufkommen.
Ob das alles in höheren Altersklassen allerdings so befriedigend bleibt, liegt an uns allen: Eltern, Schule, Verein, Gesellschaft! Wenn wir – in dieser für Kinder generell so bedeutsamen Entwicklungsphase, die insbesondere auch durch schnelle Fortschritte in der motorischen Lernfähigkeit charakterisiert ist – eine bewegungsfreundliche und -anregende Lebenswelt schaffen, kann das gelingen. Unbehagen entsteht allerdings, wenn man z. B. den Negativtrend im Sanierungsstau von Berlins Sportanlagen beobachtet, Mut macht dagegen, dass sich weit mehr als 90% (!) der untersuchten Schüler auf die Sportstunde in der Schule freuen, dass über 71% mehr Sport treiben wollen, dass davon fast die Hälfte noch nicht in einem Sportverein organisiert ist und deutlich weniger als 10% davon eine Schulsport-AG besuchen. Da sind also viele Reserven noch längst nicht erschlossen, da bleibt viel zu tun: Die Zahl derjenigen mit motorischen Schwächen, die keinem Verein angehören und deshalb vielleicht eine schlechte Prognose haben, ist noch immer zu groß; die Maßstäbe, die unsere Drittklässler an ihre motorische Leistungsfähigkeit stellen, zu niedrig; der Sport in der Schule zu viel „nur geradeaus rennen“ und zu wenig für das Zeitalter der Boarder und Parcour-Traceure „auffrisiert“; der Einzug moderner Kommunikationstechnik in die Lebenswelt dieser Altersklasse zu wenig mit einer Offensive an attraktiven Bewegungsangeboten verbunden; die insgesamt doch zu vielen stark übergewichtigen Schüler zu wenig in Sportvereinen integriert. Offenbar entscheidet sich gerade in dieser Altersklasse, ob die bis dato bewahrte Bewegungsaffinität der Schülerinnen und Schüler nun aus der Balance, nun zum Kippen kommt…
Sehr erfreulich ist, dass die bisherige Durchführung von „Berlin hat Talent“ bereits zu Leistungs- bzw. Verhaltensänderungen geführt hat: Die von uns in den Vorjahren bemängelte Ausdauerleistung der Berliner Schüler hat sich zum Beispiel gegenüber dem Vorjahr verbessert und ist nun sogar besser als der bundesweite Durchschnitt; das Interesse der Sportlehrer für das Bewegungsverhalten der Schüler außerhalb der Schule hat sich – aus der Sicht der Schüler - von 36% anfangs auf 59% gesteigert…
Die in Berlin geschaffene hochwertige Datenbasis sowie die entwickelte valide Vorgehensweise zur Bildung einer - auch die Erfahrungen von Lehrern und Trainern berücksichtigende - Rangfolge der motorischen Leistungsfähigkeit unter den Schülern ermöglicht nun eine gegenüber den zurückliegenden Jahren weitaus zuverlässigere, schärfere Identifikation bewegungstalentierter Schüler sowie von Schülern mit motorischem Förderbedarf (siehe Anlagen). Damit rückt die Entwicklung und Evaluierung auf gerade diese Gruppen zugeschnittener Interventionsprogramme und deren langfristige, zielorientierte Förderung möglichst unter einer zentralen Führung durch z. B. den Landessportbund oder die Schulverwaltung in den nächsten Jahren entscheidend in den Vordergrund.
Mit dem Ziel einer Talentfindung wurden im Schuljahr 2015/2016 3125 Schülerinnen und Schüler mit überdurchschnittlichen motorischen Fähigkeiten vom Landessportbund Berlin zu „Talentiaden“ eingeladen, bei denen sich dann insgesamt 812 (26%) auch verschiedenen Berliner Vereinen und Verbänden vorgestellt haben. Daraus wurden Talentsichtungsgruppen gebildet und begonnen, sie zielgerichtet zu fördern. Gegenwärtig sind 73 Schülerinnen und Schüler in diesen Talentsichtungsgruppen aktiv. Die Ergebnisse im Vorjahr lassen erwarten, dass etwa jeder zweite Teilnehmer an der Talentiade, der nicht bereits im Verein organisiert ist, dann Mitglied eines Vereins wird (ca. 200 neue Mitglieder).Gleichermaßen wurden auch jene Kinder mit motorischem Förderbedarf unter dem Motto „Bewegung macht Spaß“ zu sogenannten Bewegungsfördergruppen eingeladen. Aktuell nutzen das 176 Schülerinnen und Schüler im Rahmen eines Jahreskurses.