Auf Massenschlägerei folgt Alkoholverbot: Die Zuschauer im antiken Griechenland waren schlimmer als ihr Ruf

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Lämmer, Manfred
Erschienen in:Anstoss: Die Zeitschrift des Kunst- und Kulturprogramms zur FIFA WM 2006, Nr. 1 (November 2004)
Veröffentlicht:Berlin: Nationale DFB Kulturstiftung WM 2006 (Verlag), 2004, S. 70-75
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU201001001365
Quelle:BISp

Abstract

Noch immer ist die Vorstellung weit verbreitet, ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Sportverständnis der Griechen und dem der Römer habe darin bestanden, dass die Griechen die Leibesübungen auf breiter und vielseitiger Grundlage praktisch betrieben und in Form der von ihnen eigens entwickelten Gymnastik systematisch in die Erziehung der Jugend eingefügt hätten, während sich die Römer vorwiegend im Zirkus, Theater und Amphitheater durch professionelle Darbietungen passiv unterhalten ließen oder müßig in den Thermen saßen. In Wirklichkeit haben die Zuschauer gerade im griechischen Wettkampfwesen eine zentrale Rolle gespielt. Textstellen aus den Werken Homers belegen sogar, dass es bereits in der Antike bei öffentlichen Wettkämpfen aggressive Äußerungen oder gar gewalttätige Ausschreitungen von Seiten der Zuschauer gab. So fielen in der frühgriechischen Zeit die enttäuschten Freunde und Anhänger eines unterlegenen Wettkämpfers über den Sieger und dessen Begleiter her. Kennzeichnend für die Atmosphäre bei griechischen Agonen ist auch die Tatsache, dass es mancherorts besondere Einheiten gab, die für die Aufrechterhaltung der äußeren Ordnung zuständig waren. Die Existenz derartiger Truppen macht deutlich, dass die damals Regierenden öffentliche Massenveranstaltungen, insbesondere Kultfeste und Wettkämpfe, stets als erhöhtes Sicherheitsrisiko ansahen und besondere Vorkehrungen trafen. Auch die jüngsten Alkoholverbote in westeuropäischen Fußballstadien, mit denen man Gewalttätigkeiten von Zuschauern entgegenwirken will, haben ein antikes Vorbild. So sah sich die Heiligtumsverwaltung um 450 v. Chr. angesichts wiederholter unliebsamer Zwischenfälle durch betrunkene, bei Wettkämpfen randalierende Zuschauer genötigt, die Mitnahme von Wein in den Bereich des Stadions zu untersagen. Alkoholkonsum und politische Agitation ergänzten eine gereizte Grundstimmung, die zum einen durch die große Bedeutung athletischer Siege für die rivalisierenden Stadtstaaten sowie zum anderen durch die beschwerlichen äußeren Umstände (z. B. lange Anreise) zu erklären ist. Bei manchen Veranstaltungen bedurfte es nur eines geeigneten Anstoßes, um die Zuschauer zu gewalttätigen Handlungen zu veranlassen. Durch verstärkte Sicherheitsvorkehrungen sowie durch Verbote und Sanktionen versuchten die Veranstalter Ruhe und Ordnung zu bewahren. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)