Schönstes Leben, tollste Weiber, vor allem aber Reclam-Heftchen. Theater und Fußball: Doppelpass zu einem ganz und gar ungewöhnlichen Verhältnis

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Stadelmaier, Gerhard
Erschienen in:Anstoss: Die Zeitschrift des Kulturprogramms zur FIFA WM 2006, Nr. 5 (Juni bis August 2006)
Veröffentlicht:Berlin: Nationale DFB Kulturstiftung WM 2006 (Verlag), 2006, S. 86-89, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200912007617
Quelle:BISp

Abstract

In den 1920er Jahren war es schick, dass Intellektuelle, Schauspieler, Dramatiker, Musiker, Galeristen sich mit Sportlern und Sport einließen. „Brecht schrieb ein ganzes Drama („Im Dickicht der Städte“) im Rhythmus und Stil eines Boxkampfes [...]; Georg Kaiser feierte in „Von morgens bis mitternachts“ die Hitze, den Schweiß, das Tempo, die Geilheit eines Sechstage-Rennens; Leós Janácek schrieb seine „Sinfonietta“ als grelles Fanfarengetöse für ein nationales Turnfest. Die Zeit verlangte nach Körpereinsatz und Tempo. Die Künste hechelten hinterher.“ Auch der Fußball wurde dramatisch thematisiert, und zwar in Horváths „Legende vom Fußballplatz“. „Fußball ist überhaupt das, was das Theater gerne wäre. Ein Magnet für Massen. Ein Faszinosum, von dem keiner loskommt. Ein Spektakel, über das alle sprechen. Dessen Szenen alle nacherzählen können. Dessen Tragik und Triumphe ganze Nationen beschäftigt. Das Theater ist zwar immer Theater für die Welt. Aber nur ein kleiner Teil dieser Welt schaut ihm zu.“ Auch im Umfeld der Fußball-WM 2006 beschäftigt sich das Theater mit dem Fußball. So bietet das Berliner „Ensemble Theatersport“ unter dem Motto „Spartak Stanislawski kämpft auf der Bühne für deine Freiheit!“ dem Publikum einen „Theaterabend wie im Fußballstadion: zwei Teams kämpfen um die besten Szenen und das Publikum um den Aufstieg seines Favoriten.“ Das Schauspiel Frankfurt richtet eine „Fußball-Bar“ ein, „an der ‚Tore, Titel, Temperamentsausbrüche’ oder ‚Fußball-Utopia Brasilien’ zu Theoriecocktails gemixt werden, deren Rasenferne freilich freundlicherweise schon durch ihre Namen kaum kaschiert scheint.“ Außerdem „tönt landauf, landab von Dutzenden von Bühnen Marc Beckers oratorisches Konglomerat ‚Wir im Finale. Material für einen patriotischen Fußballabend’ herunter, in dem [...] allerlei Reporter-Gesülze und Trainersprüche und Stammtischparolen in Monologen und Tiraden dem deutschen fanatischen Kickmichel [...] entlarvungsleicht aus dem fußballvernagelten Spießerhirn kollern.“ Trotz dieser Verbindungen hält Verf. das scheinbare Einverständnis zwischen Bühne und Fußball für ein gedankliches Missverständnis. Beide Bereiche beziehen sich zwar auf ein Drama, aber während im Fußball nur die Sieger weiterkommen, sind auf der Bühne die Verlierer die Interessanteren. „Auf dem Fußballfeld weiß niemand, wie es ausgeht. Das ist der Unterschied. Und deshalb ist ein Fußballdrama auf dem Theater natürlich kein Drama wie im Fußball.“ Verf. gelangt zum Fazit: „Am Ende bleibt zwischen Fußball und Theater zu viel Platz, als dass sie sich wirklich treffen könnten. Trotz aller verzweifelten – und sehr einseitigen – Liebe.“ Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)