Ein neues Verständnis der Autonomie des Sports? Der Streit um die Fußball-EM 1988

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Braun, Jutta
Erschienen in:Fußball in Geschichte und Gesellschaft : Tagung der dvs-Sektionen Sportgeschichte und Sportsoziologie vom 29.9.-1.10.2004 in Münster
Veröffentlicht:Hamburg: Czwalina (Verlag), 2006, S. 65-74, Lit.
Forschungseinrichtung:Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft / Sektion Sportgeschichte ; Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft / Sektion Sportsoziologie
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
DDR
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200606001301
Quelle:BISp

Abstract

Am 19. Februar 1985 verkündete das Organisationskomitee der UEFA in Bern, die Ausrichtung der Fußball-EM für das Jahr 1988 an die BR Deutschland vergeben zu wollen. Diese Vorentscheidung wurde einen Monat später vom Exekutivkomitee der UEFA in Lissabon endgültig abgesegnet. Diese Entscheidung hätte eigentlich ein Anlass großer Freude für den bundesrepublikanischen Sport sein können. Die gleichzeitige Festlegung der Austragungsorte durch die UEFA barg jedoch politischen Zündstoff, der bald die gesamte bundesdeutsche EM-Bewerbung zu zerreißen drohte: In der endgültigen Zusammenstellung des Spielplans hatte West-Berlin als Veranstaltungsort keine Berücksichtigung gefunden. Diese Entscheidung erfolgte insofern nicht überraschend, als der DFB von Beginn an den Widerstand der drei stimmberechtigten osteuropäischen Mitglieder im Organisationskomitee der UEFA im Blick gehabt und daher die Einbeziehung West-Berlins nicht zur sine qua non seiner Bewerbung gemacht hatte. Die Entscheidung von Bern wurde jedoch umgehend seitens der Bundesregierung, der Berliner Politik und Teilen der Presse zum Anlass genommen, den DFB sowie dessen vermeintliches „Notopfer Berlin“ auf das Schärfste anzugreifen. Insbesondere Hermann Neuberger sah sich heftigsten persönlichen Angriffen ausgesetzt. Insgesamt betrachtet stellte der Streit des Jahres 1985 die schwierigste Gratwanderung zwischen Sport und Politik seit den Auseinandersetzungen um den Olympia-Boykott 1980 dar. Mit einem entscheidenden Unterschied: Während der Sport im Jahre 1980 der Prioritätensetzung durch die Bundesregierung, wenn auch z. T. widerwillig, folgte, wehrten sich DFB und DSB im Jahre 1985 heftig und öffentlich, in Fragen der Berlin- und internationalen Sportpolitik den Aufforderungen der Bundesregierung zu entsprechen. Gleichzeitig spiegelt der Streit die schwierige Position des West-Berliner Sports wider: Gegenüber dem Ostblock galt es, die Zugehörigkeit zur Bundesrepublik immer wieder aufs Neue zu demonstrieren. Die Ostblockstaaten hingegen suchten wiederholt, mittels Boykott und Diskriminierungen die Inselstadt zu isolieren. Der Konflikt von 1985 rührte deshalb einen zentralen Punkt des deutschen Selbstverständnisses: Wieweit sollte die Solidarität mit West-Berlin gehen, war eine kompromisslose Haltung wie diejenige der Bundesregierung bzw. der West-Berliner Politik angemessen oder aber der pragmatische Kurs der bundesdeutschen Sportverbände? Die monatelange Aufregung um die EM 1988 und das Ausmaß an nationaler, spannungsgeladener Emotion vermitteln ein lebendiges Bild, welch zentralen und prägenden Stellenwert die innen- und außenpolitischen Probleme des Berliner Sports für die Bundesrepublik besaßen: West-Berlin war auch im Sport politischer Brennpunkt und hoch sensibles Reizthema bis zum Ende des Kalten Krieges. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)