Neue Heimat Fußball?

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Köster, Philipp
Erschienen in:Stadien der Fussballweltmeisterschaft 2006
Veröffentlicht:Basel: 2005, S. 6-9
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200603000466
Quelle:BISp

Abstract

Mit erstaunlicher Rasanz hat sich der Fußballsport seit Anfang der 1990-er Jahre von einem proletarischen Wochenendspaß zu einem Erlebnis für alle Gesellschaftsschichten entwickelt. Quasi zum „Transmissionsriemen“ der schönen, neuen Fußballwelt gerieten dabei die Stadien. Wurden die 1980-er Jahre noch von voluminösen Schüsseln dominiert, die die Zuschauer mit Waschbeton und rostigem Stahl alleine ließen, so entstanden seit Mitte der 1990-er Jahre auch in Deutschland neue Stadien, die nicht mehr als Sportstätten konzipiert wurden, sondern als multifunktionale Freilufthallen. Als Blaupause diente den Planern dabei die Amsterdam Arena, die all das bereits verwirklicht hatte, was hierzulande mittlerweile ebenfalls zur Grundausstattung der Stadien gehört: die Umwandlung von Stehplätzen in Schalensitze, die vollständige Überdachung der Zuschauerränge, gute Sicht von allen Plätzen, Videoleinwände, die Einführung eines eigenen Bezahlsystems. Zugleich wurde auch die zuvor stark auf den Fußball fokussierte Bundesliga nach den ehernen Gesetzen des Showbetriebs umgestaltet. Die zur Pausenunterhaltung aufspielende Polizeikapelle wich jugendlichen Popsängern, zur Unterhaltung des Nachwuchses paradierten fortan plüschige Maskottchen durch das Stadion und anstelle der sporadischen Durchsagen des Stadionsprechers sorgten Moderatoren auf dem Rasen für das Aufwärmprogramm der Zuschauer. Die Konsequenz waren rapide steigende Zuschauerzahlen und es galt auch nicht mehr als unschicklich, sich zum Fußball allgemein und zum Lieblingsverein im Speziellen zu bekennen. Statt über Lieblingsfilme und Literatur wurde auf bspw. Stehempfängen im Fachbereich Erziehungswissenschaften und im Meeting der Werbeagentur plötzlich über den Abstiegskampf in der 2. Bundesliga debattiert. Die Theorie zur Praxis lieferte der englische Autor Nick Hornby mit seinem Bekenntnis-Buch „Fever Pitch“, das exemplarisch zeigte, dass sich wacher Geist und Fußballbegeisterung nicht zwangsläufig ausschließen müssen. Der Fußball ist zur gesellschaftlichen Allzweckwaffe geworden, er ist hochklassiger Sport, kraftvoller Motor für die Konjunktur, Bühne für die Politik, Tummelfeld für die Werbung und Gaudi für die Massen. Orte dieses Spagats sind die neuen Stadien, in denen der Fußball sich neu erfinden muss – damit er mehr bleibt, als „ein Kick von zweiundzwanzig Kurzbehosten im Park“. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)