Fußballfans und Heiligenkult: Begegnung mit einer anderen Wirklichkeit

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Autor:Leißer, Thorsten
Erschienen in:Fußballver-rückt: Gefühl, Vernunft und Religion im Fußball. Annäherungen an eine besondere Welt
Veröffentlicht:Münster: Lit-Verl. (Verlag), 2004, S. 79-92, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200504000893
Quelle:BISp

Abstract

Der in der populären Fußballkultur zutage tretende Personenkult lässt viele Vergleiche mit seinem christlichen Pendant zu. Fußballspieler ermöglichen wie Heilige durch ihre Aktionen religiös-existenzielle Emotionen wie Hoffnung und Angst, Verdammnis und Errettung. Dabei verleugnen sie ihre persönlichen Glaubensüberzeugungen nicht, sondern ihre teils christlichen, teils säkular-esoterischen Handlungsweisen auf und neben dem Spielfeld fungieren als Verhaltensmuster für die Fans. Heilige und Fußballer ermöglichen gleichermaßen soziale Bindungen durch einen Festkalender; beide schaffen Identität für eine Gemeinschaft, die in ihrer Struktur partikular (Gemeinde, Verein) und universal (Katholische Kirche, generelles Fan-Sein) zugleich ist. Sie stehen für eine Idee, die zwar weit über ihre eigene individuelle Person hinausgeht (Christentum, Fußball), jedoch auf ihre Vermittlungsdienste angewiesen ist. Beide Gruppen fungieren durch ihre hervorgehobene Stellung als Projektionsflächen für die Hoffnungen und Ängste ihrer Zeitgenossen. Schließlich geht es in der Verehrung von Profifußballern wie christlichen Heiligen um die Begegnung mit einer anderen Wirklichkeit, einer Gegenwirklichkeit, die die bestehenden Lebensverhältnisse der jew. Anhänger transzendiert. Hier liegt zugleich die Grenze der Vergleichbarkeit: Letztlich bleiben Fußballspieler und Fans doch Teil ein und derselben Realität, die sich in verschiedenartigen materiellen Konditionen manifestiert. Dagegen hat die Begegnung mit einer anderen Wirklichkeit, wie sie in den „übernatürlichen“ Kräften der Heiligen angeboten wird, in ihrer Konsequenz eine ganz andere Qualität. Das Fußballszenario auf dem Rasen verspricht keinerlei Form von Erlösung oder Trost, sondern garantiert nur sich selbst. Während der Heiligenkult auf einen größeren Zusammenhang (das Reich Gottes) verweist und den Menschen eine alle Verhältnisse wandelnde Zukunft verheißt, bleiben Fußballspieler nur ihrem Verein und dessen Fans verpflichtet. Anstelle christlicher Partizipation an den göttlichen Verheißungen bleibt der Profifußball gebunden an die ökonomischen Gesetze des Marktes. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)