Hooligans in Polen: Fremd im eigenen Land?

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Prokopf, Andreas
Erschienen in:Fußballver-rückt: Gefühl, Vernunft und Religion im Fußball. Annäherungen an eine besondere Welt
Veröffentlicht:Münster: Lit-Verl. (Verlag), 2004, S. 93-112, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Fan
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200504000892
Quelle:BISp

Abstract

Anders als in Westeuropa ist Fußball für viele Gebildete in Polen ein Antithema. Man hält sich fern vom lärmenden und brüllenden Mob, Fußball hat in Polen etwas Anti-Intellektuelles. Wer etwas auf sich hält, lässt nicht verlautbaren, dass er sich für Fußball interessiert. Auch die offizielle Theologie in Polen verhält sich dem Fußball gegenüber reserviert: Emotionen und Rituale von Fußballfans werden bestenfalls als Abfallprodukte einer atavistischen, unchristlichen und unkulturellen Masse abgetan. Ans Licht der Öffentlichkeit und in den urbanen Kontext treten die „Aktivitäten“ der Fußballfans immer wieder auf makabre Weise. Dem Fernsehzuschauer werden „wilde Tiere“ (Kommentatorenstimme) präsentiert, die Hooligans werden ausgegrenzt. Man will die Ausbrüche von Gewalt, die sich Woche für Woche auf schlecht ausgestatteten Plätzen und auf Straßen abspielen, nicht wahrhaben. „Normale“ Sportbegeisterte meiden oftmals die Stadien, weil sie die Konfrontation mit den Hooligans scheuen. So werden die mit Stacheldraht abgesicherten, hässlichen Stadien immer mehr zu Ghettos der Gewalt. Keltische Kreuze, Hakenkreuze, Runen u. ä. sind „Dauergäste“ in den polnischen Fußballarenen. Die Fans wollen in den Augen der breiten Öffentlichkeit so schrecklich und unanständig wie irgend möglich erscheinen. Die Ursprünge dieser faschistoiden Emblematik sind mit dem Aufkommen der Skinhead-Szene in Polens Stadien in den 80er Jahren zu sehen. Schon bald versuchten mehrere rechtsradikale und faschistoide Bewegungen (z. B. die „Polnische Heimatfront“ oder die „Arische Überlebensfront“), aus dem Reservoir der Hooligans zu schöpfen. Hand in Hand mit diesen rechtsradikalen Tendenzen geht ein Antisemitismus. „Jude“ ist in weiten Teilen der Fußballsubkultur (und nicht nur dort) ein Schimpfwort. Das Auftreten antisemitischer Ausbrüche in der polnischen Fußballszene ist kein Zufall: Distanz und Antipathie Juden gegenüber ist, wie Umfragen belegen, in Polen stärker entwickelt als in anderen europäischen Staaten. Juden, die faktisch mit 3500 gegenüber den 40 Millionen Einwohnern Polens eine Minderheit darstellen, werden von Jugendlichen heute unter einen irrationalen Generalverdacht gestellt. Sie gelten einem alten Stereotyp folgend als geizig und geldhungrig. Trotz der verschwindend geringen Zahl der Juden sind nahezu 33 Prozent aller befragten Jugendlichen der Meinung, die Juden hätten zuviel Macht im Staate. Der Antisemitismus findet nicht zufällig gerade im Kontext des Fußballs, der „Schmuddelecke“ Polens, so glühende Anhänger. Viele Stimmen im „aufgeklärten“ Polen werden laut, sich der Fußballhooligans doch einfach durch Ausgrenzung zu entledigen, die Stadien von dem unerfreulichen, nationalen Sumpf zu säubern. Angesichts dessen vertritt Verf. die These, dass die Fußballfans möglicherweise mehr mit den „normalen“ Polen zu tun haben als diese sich das denken. Vielleicht sind sie lediglich ein Symbol für einen Diskurs, den man so recht noch nicht begonnen hat und deswegen der Straße in dieser Form überlassen hat. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)