"Lautern ist eine große Sportfamilie!" Fußballkultur als Faktor städtischer und regionaler Identität

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Herzog, Markwart
Erschienen in:Der lange Weg zur Bundesliga : zum Siegeszug des Fußballs in Deutschland
Veröffentlicht:Münster: Lit-Verl. (Verlag), 2004, S. 183-214, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200501000174
Quelle:BISp

Abstract

Das Zitat von Kaiserslauterns Oberbürgermeister Hans Jung aus dem Jahr 1976 im Titel dieser Unersuchung bringt die Identifikation der Stadt Kaiserslautern mit dem Sport auf den Punkt: Vor allem der Fußballsport ist es, der in der Pfalz an prominenter Stelle in das Regionalbewusstsein integriert ist. Die erste Mannschaft der Fußballabteilung des Sportvereins 1. FC Kaiserslautern (1. FCK) hat mit ihren Spielerstars seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an der Konstitution einer städtischen und regionalen Identität mitgewirkt, die 1954 zudem auf die nationale Identitätsbildung übergegriffen hat. Die sozialgeschichtlichen Anfänge des Lauterer Fußballsports und der Vorgängervereine des 1. FCK liegen im mittelständischen bis gehobenen Bürgertum; Fußball war ursprünglich eine Freizeitangelegenheit der bürgerlichen Mittelschicht. Neben dieser Linie gab es schon im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts verschiedene Vereine aus einer Arbeiterschicht, die sich im Zuge der Industrialisierung Kaiserslauterns seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gebildet hatten. Der 1931 durch Fusion des zumeist zweitklassigen Fußballvereins Viktoria 1905 Kaiserslautern (FVK) und dem Sportverein Phönix Kaiserslautern entstandene 1. FCK errang bis Ende der 1940er Jahre eine kaum über die Grenzen Kaiserslauterns hinausgehende Popularität. Er war zunächst Gegenstand einer rein städtischen Identifikation ohne eine bemerkenswerte Ausstrahlung in die pfälzische Region. Nach 1945 übernahm Fritz Walter die Mannschaft als Spielertrainer, führte sie 1948 ins erste Endspiel um die Deutsche Meisterschaft, um in den Jahren 1951 und 1953 gegen Preußen Münster und den VfB Stuttgart den Titel und 1948, 1954 und 1955 jeweils die deutsche Vizemeisterschaft zu erringen. In dieser Zeit wurde die Substanz jener regionalen Popularität geschaffen, ‚aufgefrischt’ durch die Meisterschaften 1991 und 1998 sowie Pokalsiege 1990 und 1996. Wichtig ist in diesem Kontext auch, dass unter Fritz Walter nach 1945 eine bemerkenswerte Solidarität zwischen Stadt und Verein gewachsen war – eine regelrechte Infrastruktur kleiner Patenschaften: Bäcker und Metzger unterstützten die hungrigen Spieler. Eine nicht unerhebliche Popularität in Orten jenseits der Stadtgrenze wurde durch die sog. Kalorien- und Kartoffelspiele oder Hamstertouren aufgebaut: Der 1. FCK spielte im Umland und ließ sich dafür mit Nahrungsmitteln entlohnen. Waren kurz nach dem Zweiten Weltkrieg Metzger und Bäcker als Nahrungsmittelsponsoren ungemein wichtig, so waren nach Beseitigung der immensen Kriegsfolgen auch die großen Arbeitgeber vor Ort, vor allem Pfaff und Kammgarn, wieder wichtig geworden. Die Firmendirektoren ließen sich lange Jahre ins Klubpräsidium und in den Verwaltungsrat wählen. Städtische und nationale Identifikation mit dem Verein und seinen Spielern war in der ökonomischen und politischen Kultur der Pfalz der 1950er Jahre auch insofern zu beobachten, als der 1. FCK damals als Werbemedium entdeckt wurde. Neben den Parteien (über die Tagespresse) entdeckten Kaiserslauterner Firmen die Popularität des 1. FCK für Werbezwecke und erwarben bspw. die Entrittkarten als „Werbefläche“. Das ausgeprägte Interesse der Firmen in Stadt und Region am 1. FCK als Werbeträger begründete auf gewerblicher Ebene eine durch den Fußballsport bereicherte und modernisierte regionale Identität mit. Insofern war die offenkundige Inanspruchnahme des Clubs durch Parteipolitik und Produktwerbung ein Indiz für den schon bestehenden Stellenwert des 1. FCK im Regionalbewusstsein. Schiffer