Evaluation leistungsdiagnostischer Verfahren im olympischen Boxen

Gespeichert in:
Bibliographische Detailangaben
Leiter des Projekts:Langen, Georg (Institut für Angewandte Trainingswissenschaft, Tel.: 0341 4945144, langen at iat.uni-leipzig.de)
Mitarbeiter:Schönburg, Susanne (Institut für Angewandte Trainingswissenschaft, Tel.: 0341 4945156, schönburg at iat.uni-leipzig.de)
Forschungseinrichtung:Institut für Angewandte Trainingswissenschaft
Kooperationspartner:Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen ; Deutscher Boxsport-Verband
Format: Projekt (SPOFOR)
Sprache:Deutsch
Projektlaufzeit:04/2018 - 06/2021
Schlagworte:
Erfassungsnummer:PR020191100108
Quelle:Projektmeldung

Ziel

Teil 1:
In den letzten zehn Jahren gab es diverse Anpassungen des Regelwerkes der International Boxing Association (AIBA). Zu den bedeutendsten Regeländerungen zählen die Abschaffung des Kopfschutzes bei den Männern, die Veränderung der Kampfzeit auf 3x3 Minuten bei den Frauen und die Einführung des neuen Ten Point Must Wertungssystems (TPM) in 2013. Nach diesem neuen Wertungssystem wird ein Kampf nun nicht mehr allein auf Grundlage der Anzahl und Qualität der regulären Treffer gewertet, sondern außerdem anhand von weiteren, subjektiven Kriterien.
Vergleichende Analysen von Wettkämpfen vor und nach den genannten Regeländerungen zeigen, dass diese zu Veränderungen des Kampfverhaltens geführt haben (Davis, Waldock, Connorton, Driver & Anderson, 2017; Schönburg, Kappel & Büsch, 2016). Durch den Vergleich des olympischen Boxturniers 2012 und der Weltmeisterschaft 2015 der Männer wurde einerseits eine geringere Trefferquote sowie andererseits ein höherer Anteil von Luftschlägen (Schläge ohne Kontakt mit dem Gegner) nach Einführung des TPM bei gleichbleibender Anzahl an Schlägen pro Kampf insgesamt festgestellt (Davis et al., 2017). Weiterhin stieg der Anteil gerader Schläge an, vor allem mit der Führhand zum Kopf (Davis et al., 2017). Vergleiche von Siegern und Verlierern hinsichtlich des Schläge/Treffer Verhältnisses zeigen aber auch, dass nach Einführung des TPM Sieger nicht häufiger schlagen als Verlierer aber nach wie vor mehr Treffer, also eine höhere Trefferquote erzielen (Dunn, Humberstone, Iredale, Martin & Blazevich, 2017; Schönburg et al., 2016). Die Einführung des TPM hatte offenbar keinen Effekt auf die Anzahl der absolvierten Schläge, führte jedoch zu einer Reduktion der Trefferanzahl. Vermutlich ist es durch die Kombination einer höheren Anzahl von Verteidigungshandlungen, einer Abnahme von Kampfhandlungen in der Nahdistanz und einer durch die Abschaffung des Kopfschutzes verkleinerten Trefferfläche im Bereich des Kopfes schwieriger geworden Treffer zu erzielen, ohne selbst getroffen zu werden (Davis et al., 2017). Dennoch bleibt die Trefferquote auch unter dem TPM ein entscheidendes Wertungskriterium (AIBA, 2018; Dunn et al., 2017), wobei Treffer offenbar nun vermehrt durch einzelne, gerade Schläge zu erzielen sind.
Aufgrund der gesteigerten Bedeutung von geraden Einzelschlägen soll ein stärkerer Fokus auf diese Schläge im Rahmen der komplexen Leistungsdiagnostik (KLD) gelegt werden. Die derzeit mithilfe des Messplatz Boxen erfassten Parameter beruhen ausschließlich auf der Endphase der Schlagbewegung beziehungsweise der Trefferphase.
Die beschriebenen Änderungen des Kampfverhaltens zeigen jedoch, dass allein eine hohe Schlagkraft sowie eine hohe Schlagendgeschwindigkeit nicht zwingend ausreichend sind, um einen Treffer zu erzielen. Es ist zusätzlich entscheidend einem Gegner möglichst wenig Reaktionszeit und Möglichkeit für Verteidigungshandlungen zu lassen. Dafür muss die Schlagbewegung innerhalb einer möglichst kurzen Zeitdauer ausgeführt werden, wobei dennoch eine möglichst hohe Schlagkraft erzielt werden soll. Für die spezielle Diagnostik im Rahmen der KLD bedeutet das, dass nicht allein die Endphase der Schlagbewegung, sondern der Verlauf der Schlagbewegung insgesamt betrachtet werden muss, um die technische Ausführung einzelner Schläge beurteilen zu können. Da dies durch den bisherigen Leistungstest am Messplatz Boxen nicht möglich ist, ist es das Ziel der geplanten Untersuchung einen Test zur Beurteilung sowohl der Schlagdauer als auch der Schlagkraft zu ent-wickeln und zu validieren.

Teil 2:
Entscheidend für maximale Trainingsanpassungen und Leistungssteigerungen ist ein optimales Verhältnis zwischen der individuellen Beanspruchung und der Erholung (Meeusen et al., 2013). Ein ungünstiger Erholungs-/Beanspruchungszustand (EB-Zustand) kann zu Leistungseinbußen, negativen Trainingsanpassungen und einem erhöhten Verletzungsrisiko führen (Jones, Griffiths & Mellalieu, 2017; Soligard et al., 2016). Vor allem in intensiven Trainingsphasen (Jones et al., 2017) und in Kombination mit zusätzlichen, nicht-trainingsbezogenen Einflussfaktoren (Reisebelastung, Schlafmangel, Leistungsdruck, Gewichtsreduktion etc.) ist das Risiko für einen ungünstigen EB-Zustand erhöht (Kölling et al., 2016; Meeusen et al., 2013). Dazu kommt, dass es mitunter Unterschiede zwischen der von Trainern geplanten und der tatsächlich von Athleten empfundenen Trainingsbeanspruchung gibt (Brink, Frencken, Jordet & Lemmink, 2014; Brink, Kersten & Frencken, 2017). Hieraus können langfristig ebenfalls negative Trainingsanpassungen resultieren (Soligard et al., 2016). Die regelmäßige Erfassung der individuellen Beanspruchung ist daher entscheidend für eine effektive Trainingssteuerung (Halson, 2014; Schwellnus et al., 2016; Soligard et al., 2016). Trainern wird empfohlen eine tägliche Neubewertung des geplanten Trainings auf Grundlage des akuten individuellen EB-Zustandes vorzunehmen (Drew & Finch, 2016). Dafür ist eine regelmäßige Erfassung des individuellen EB-Zustandes durch standardisierte Verfahren notwendig (Soligard et al., 2016). Dieser kann anhand von subjektiven und objektiven Maßen erfasst werden (Eckard, Padua, Hearn, Pexa & Frank, 2018; Jones et al., 2017), wobei subjektive Maße sensitiver für Veränderungen der akuten und chronischen Trainingsbeanspruchung sind (Saw, Main & Gastin, 2016). Dementsprechend werden im Leistungssport subjektive Maße am häufigsten zum Monitoring des EB-Zustandes verwendet, gefolgt und ergänzt von objektiven, sportspezifischen Leistungstests (Halson, 2014; Saw et al., 2016).
Eine weit verbreitete Methode zur Erfassung der individuellen Trainingsbeanspruchung ist die Abfrage der subjektiv empfundenen Trainingsintensität einer Trainingseinheit (Drew & Finch, 2016; Eckard et al., 2018; Jones et al., 2017; Saw et al., 2016). Das Produkt der subjektiv empfundenen Trainingsintensität und der Zeitdauer der jeweiligen Trainingseinheit erlaubt eine Quantifizierung der Trainingsbeanspruchung dieser Trainingseinheit (Foster, 1998; Haddad, Stylianides, Djaoui, Dellal & Chamari, 2017) und ist für den Zweikampfsport als Instrument zur Kontrolle der kurz- und langfristigen Trainingsbeanspruchung geeignet (Slimani, Davis, Franchini & Moalla, 2017). Für die Beanspruchungsabfrage zum Zweck der Trainingsdatendokumentation existiert in deutscher Sprache die Anstrengungsskala Sport (ASS), die auf einer zehnstufigen Skala basiert („überhaupt nicht anstrengend“ bis so anstrengend, dass ich abbrechen muss“) (Pabst, Naundorf, Braun & Büsch, 2014).
Allerdings ist eine Einschätzung des EB-Zustands von Athleten durch die Abfrage der individuellen, subjektiven Beanspruchung auf Grund der Eindimensionalität des Verfahrens nur eingeschränkt möglich. Um den Bedarf nach einem multidimensionalen und gleichzeitig praktisch einsetzbaren, sportspezifischen, ökonomischen und veränderungssensitiven Verfahren zu bedienen, wurde im Rahmen des Verbundprojektes „Optimierung von Training und Wettkampf: Regenerationsmanagement im Spitzensport“ die Kurzskala zur Erfassung von Erholung und Beanspruchung im Sport (KEB) entwickelt und validiert. Die KEB ist ein psychometrisches Instrument zur Abbildung des akuten EB-Zustandes auf emotionaler, mentaler, allgemeiner sowie physischer Ebene und ist auf-grund der kurzen Bearbeitungsdauer (40-60 Sekunden) für den hochfrequenten Einsatz geeignet (Kellmann, Kölling & Hitzschke, 2016). Die Veränderungssensitivität der KEB wurde in der Praxis bisher im Feldhockey (Kölling et al., 2015), im Schwimmen (Collette, 2016), im Rudern (Kölling et al., 2016) sowie anhand von Kraft- und Ausdauerathleten (Hitzschke et al., 2017) untersucht. Eine Anwendung in den Zweikampfsportarten ist bisher nicht bekannt.
Entgegen aktueller Empfehlungen wird derzeit im Deutschen Boxsport-Verband (DBV) kein syste-matisches Monitoring des EB-Zustandes durchgeführt. Die Trainingssteuerung erfolgt subjektiv und ohne Unterstützung durch standardisierte, diagnostische Verfahren. Dementsprechend erfolgt bisher kein Vergleich von geplanter und tatsächliche empfundener Trainingsbeanspruchung. Eine Erfassung des individuellen EB-Zustandes erfolgt ebenfalls bisher nicht.
Das übergeordnete Ziel der geplanten Untersuchung ist es daher für den DBV eine Möglichkeit zur Unterstützung der individuellen Trainingssteuerung durch die Implementierung standardisierter wissenschaftlicher Methoden zur Erfassung des individuellen Erholungs- und Beanspruchungsstatus zu schaffen. Dadurch soll es Trainern ermöglicht werden ein direktes Feedback bezüglich der von ihren Athletinnen und Athleten subjektiv wahrgenommenen Trainingsbeanspruchung zu erhalten und diese mit der von ihnen geplanten Trainingsintensität vergleichen zu können. Darüber hinaus soll ihnen durch die Erhebung des individuellen EB-Zustandes die Möglichkeit zur kurzfristigen und informierten Anpassung der Trainingsplanung gegeben werden. Dafür soll die akute Veränderungssensitivität der KEB im Zweikampfsport überprüft und diesbezüglich mit objektiv Markern der körperlichen Leistungsfähigkeit verglichen werden.

Ergebnisse

Alle Ergebnisse werden dem Deutschen Boxsport-Verband in Form von Ergebnis- und Forschungsberichten sowie Präsentationen unter anderem im Rahmen von Trainerteamsitzungen und Trainerschulungen übermittelt.