Die Realisierung eines Traumes - Eine Alltagsgeschichte des Fliegens in Österreich und die politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und militärischen Auseinandersetzungen mit dem Fliegen im 20. Jahrhundert

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Bibliographische Detailangaben
Leiter des Projekts:Ardelt, Rudolf (Privatinstitut Dr. Marschik, Tel.: 0043 1/2705898, mathias.marschik at univie.ac.at)
Mitarbeiter:Marschik, Matthias
Forschungseinrichtung:Privatinstitut Dr. Marschik
Finanzierung:Drittmittel
Format: Projekt (SPOFOR)
Sprache:Deutsch
Projektlaufzeit: - 09/1999
Schlagworte:
Erfassungsnummer:PR019990100437

Zusammenfassung

Das Ziel, eine Sozialgeschichte des Fliegens aus österreichischer Sicht zu verfassen, legt eine zweifache Gliederung der Arbeit nahe, einerseits nach historischen Perioden, andererseits nach thematischen Schwerpunkten.
Die Periodisierung soll vor allem Hinweise auf die Veränderungen der Rezeption des Fliegens in bestimmten Zeiträumen und , damit im Zusammenhang, der jeweiligen tatsächlichen oder intendierten Nutzung des Fliegens durch Politik, Wirtschaft und Militär erbringen. Konkret ist dabei die Frage zu klären, welchen Interessengruppen das Fliegen zu welcher Zeit in welcher Weise zu nutzen trachteten. Dabei wird sich vor allem auch zeigen, wie sehr sich die Realisierung des Traumes vom Fliegen von der Realisierung anderer Transportmöglichkeiten abhebt, wie etwa in Analysen zur Entwicklung etwa des Eisenbahnwesens gezeigt wird. Diese Periodisierung sieht folgendermaßen aus:
Das Zeitalter der Erfindungen ist von etwa 1908 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges anzusetzen und war vor allem von den rasanten technischen Neuerungen geprägt, die einerseits die Bevölkerung massenhaft zu den diversen Flugvorführungen brachte, andererseits besonders Ingenieure und Techniker zu Spekulationen wie zu konkreten Planungen animierte. Im Mittelpunkt der Rezeption standen die Maschine und ihr Pilot. Die Einstellung zum Fliegen war bestimmt vom "Gefühl des Natürlichen mit dem gleichzeitigen, allgemeinen Gefühl des Außerordentlichen" (Kafka). Die Idee einer militärischen Nutzung des Fliegens wurde sehr rasch konkretisiert, jedoch ohne praktische technische Konzepte der Umsetzung, die dann erst im Zuge der Praxis des militärischen Einsatzes von Fluggeräten eilig nachgeliefert wurden; Pläne kommerzieller Nutzung waren dagegen noch weitgehend utopistisch. Die Fortschriftseuphorie überwog die Fragen der Anwendbarkeit.
Die Zeit des Ersten Weltkrieges war, was den alltagskulturellen Umgang betrifft, geprägt vor allem von den Heldentaten und Glanzleistungen der Flieger und vom quasi ritterlichen Ehrenkodex der Flieger, aber natürlich auch von nationalen Erwägungen, die den initialen Internationalismus des Flugwesens, wie er sich bei den ersten Rekordflügen manifestierte, unterbrachen. Der militärische Nutzen der Fliegerei war vergleichsweise gering, der entscheidende Fortschritt gelang im Bereich der Haltbarmachung des Materials, was eine spätere zivile Nutzung der Fliegerei erst ermöglichte. Konkrete Vorschläge einer ökonomisch rentablen Fliegerei wurden erarbeitet und unmittelbar nach Kriegsende versuchsweise auch in die Tat umgesetzt.
Die Zeit der Ersten Republik war geprägt vom Beginn der ökonomischen Nutzung, indem auch in Österreich private Luftfahrtunternehmungen entstanden, die sich dem Personen- wie dem Warenverkehr widmeten. Bis zum Beginn der dreißiger Jahre entstand in ganz Europa ein dichtes und regelmäßig beflogenes Netz von Luftrouten, in das auch Österreich, wenn auch verspätet, einbezogen wurde; verspätet deshalb, weil im Vertrag von St. Germain das Fliegen erstmals als politisches Instrument verwendet und in Österreich für mehr als fünf Jahre jede nennenswerte Flugaktivität untersagt wurde. Ab 1934 setzte sich Österreich über internationale Verträge hinweg und begann mit dem Aufbau eines Luftheeres. Alltagsgeschichtlich betrachtet stand die Luftfahrt der Zwischenkriegszeit im Zeichen einer 'Veralltäglichung' des Traumes vom Fliegen. Die Verherrlichung der Fliegerhelden trat allmählich in den Hintergrund und wurde durch die Bewunderung für die Abenteurer ersetzt, die mit ihren Maschinen die Weltmeere überflogen oder Entdeckungsreisen unternahmen. Flughäfen und Flugzeuge wurden zum zwar nicht gewöhnlichen, aber doch vertrauten Anblick, die Luftfotografie trug dazu ebenso bei wie die Werbeflieger und zahlreiche Filme, die fliegerische Motive beinhalteten. Der Traum vom Fliegen näherte sich der Realisierung, denn auf zahlreichen Flughäfen wurden preisgünstig kurze 'Flüge für jedermann' angeboten.
Der Nationalsozialismus verwendete das Flugwesen ganz im Sinne seines Anspruches auf den Vorweis technischer Überlegenheit und Modernität: "eiskalt" und "blitzschnell" hießen die Metaphern dieses Maschinenkults, die "politischen Ereignissen einen technischen Charakter" gaben. Die Faszination des Fliegens umfasste das Abenteuer ebenso wie das Alltägliche und führte dazu, dass es das Ziel des "jungen Deutschen" war, "Flieger zu werden". Die Verschmelzung von Faszination und politischem Kalkül zeigt sich paradigmatisch beim 'Anschluß' Österreichs: Der Morgen des 12. März war einerseits davon geprägt, dass Heinrich Himmler, Reinhard Heydrich und der Chef der Ordnungspolizei, Kurt Daluege, bereits lange vor den einrückenden Truppen mit dem Flugzeug in Wien eintrafen und hier begannen, die österreichische Polizei zu einem Instrument der NS-Herrschaft zu machen, andererseits davon, dass starke Bomber- und Jagdfliegerverbände über österreichischem Territorium Flugblätter mit einer Grußbotschaft des 'nationalsozialistischen Deutschland' abwarfen.
Die Phase des Zweiten Weltkrieges brachte eine nunmehr extensive militärische Nutzung ('Luftkrieg'), die mit einer politischen Nutzung des Fliegens eng verbunden war ('Abschreckungswaffen' und 'Vergeltungsschläge'). Speziell in Europa wurde durch die Massenproduktion von Flugzeugen abermals die spätere Weiterentwicklung der zivilen Luftfahrt vorangetrieben, die in den USA bereits wesentlich weiter entwickelt war. Im popularkulturellen Bereich brachte der Zweite Weltkrieg ein Wiederaufleben des Fliegerhelden, insbesondere in Person des 'Jagdfliegers', doch auch die Kehrseite, die Angst vor dem Flugzeug in Form des Fliegeralarms und der Bombardierung vieler Städte, die eine große Anzahl an 'Menschenopfern' forderte und riesige Schäden an der Bausubstanz etlicher Städte anrichtete. Das Fliegen war nun tatsächlich zum Alltag vieler Menschen geworden.
Die Nachkriegszeit, also die fünfziger und sechziger Jahre, war geprägt von einem extensiven Ausbau der zivilen Luftfahrt, die nun konsequent ökonomisch genutzt und deren Nutzen auch ständigen Erfolgskontrollen unterworfen wurde. Abermals erfolgte diese Entwicklung in Österreich auf der Basis politischer Beschränkungen zeitverzögert, doch auf der anderen Seite waren es gerade die Besatzungsmächte, die durch den Ausbau vieler Flughäfen in ganz Österreich den Grundstein zum "Wiederaufbau" wie zum Ausbau des zivilen Luftnetzes über Österreich legten. In militärischer Hinsicht war es vor allem der 'kalte Krieg', der dem Flugwesen in Form der fliegerischen Abschreckungswaffen (Flugzeuge und Raketen) Bedeutung verlieh. In popularkultureller Hinsicht war diese Phase charakterisiert durch ein erneutes Aufkommen von fliegerischen Utopien, vor allem in Gestalt des Traumes von einer nun aktiven Teilnahme an der Luftfahrt durch Kleinflugzeuge und die Hubschraubertechnologie, die eine individuelle Nutzungsmöglichkeit versprachen. Ansatzweise realisierte Utopien brachte hingegen der Beginn der Weltraumfahrt, die zugleich wiederum eine eminente politische Bedeutung in der Auseinandersetzung der 'Supermächte' besaß.
Die siebziger bis neunziger Jahre sind schließlich eine Phase, in der sich ökonomische, militärische, politische und individuelle Nutzungen des Fliegens wie nie zuvor überlagern. Auf militärische Ebene lässt sich im Zuge der Auseinandersetzung zwischen den Weltmächten ein ungeheurer Technologieschub auf allen Gebieten des Baus und der Weiterentwicklung von Fluggeräten konstatieren, beim Bau von Flugzeugen, Raketen und der 'zivilen' Nutzung in der Weltraumfahrt. Es ist eine Entwicklung, deren Produkte (Tarnkappenbomber, Zieleinrichtungen, wie wir sie im Golfkrieg erlebt haben,...) so utopisch anmuten, dass sie den Entwurf von Utopien fast verunmöglichen, andererseits aber so expansiv sind, dass das Militär zum grössten Auftraggeber ziviler Produktion wurde und die Rüstungsindustrie bis zum Ende der achtziger Jahre enorme Zuwachsraten aufwies. Auf wirtschaftlicher Ebene erlebte der Flugverkehr gleichfalls eine enorme Erweiterung auf dem Waren- und Personensektor, der sich sowohl im Produktions- als auch im Dienstleistungssektor niederschlug. Das Wachstum des Tourismus zu einem der grössten Wirtschaftsfaktoren war nicht nur einer der Auslöser dieses Booms, sondern ist zugleich verantwortlich für die geänderte Rezeption des Fliegens, das nun für die Bewohner der "ersten Welt" eine für Langstrecken alltägliche Form der Fortbewegung darstellt, aber auch die Identität von "cosmopolitan citicens" ermöglichte. In der alltäglichen Erfahrung der Luftfahrt steht nun das aktive Fliegen im Vordergrund und damit die Realisierung eines Teiles der Utopien, die sich mit dem Fliegen verbanden.
Die Utopie technischer Machbarkeit, in der 'Postmoderne' vielfach angezweifelt, wird gerade im Flugwesen aufrechterhalten. Auf der anderen Seite wird durch die Alltäglichkeit des Fliegens das menschliche Empfinden von Zeit, Raum und Beschleunigung maßgeblich verändert, auch wenn hinsichtlich der Beschleunigung die immer schnellere Übertragung von "immateriellen Sachen" in Form von Nachrichten scheinbar dem Fliegen den Rang abgelaufen hat. Hier besteht noch Raum für Utopien, den die Science-Fiction-Literatur und -Filme bereits ausgelotet haben, indem sie die Chancen der raschen Bewegung von Körpern vorwegnehmen. Im Buch, im Fernsehen oder im Kino können wir die Beschleunigung des Körpers bereits erleben, bekanntestes Beispiel ist das 'beamen' in Star-Trek, also der Transport von Körpern in Molekülform.
Anhand der Entwicklung des Fliegens in den letzten dreissig Jahren wird vor allem aber auch zu zeigen sein, wie sich viele Facetten des Traums vom Fliegen weitgehend erhalten haben, in der ungebrochenen Faszination von Flugshows, in den Flugsujets in Werbung, in der bedeutenden Rolle des Flugzeugs im Unterhaltungsfilm, in der immer noch gängigen Verherrlichung der Piloten. Auch wenn diese Relikte eines Traumes durchaus in Konkurrenz stehen zur Notwendigkeit, das Fliegen als harmlos-sichere Fortbewegungsart zu postulieren (was besonders in den Werbungen von Fluglinien und dem Design von Flughäfen zum Ausruck kommt, die mit Slogans wie 'Sicher, Freundlich, Schnell' operieren), bleibt das Abenteuer- und Heldenhafte des Fliegens doch greifbar, indem es gewissermaßen doch eine Grenzerfahrung geblieben ist, auch wenn der Begriff der 'Freiheit der Lüfte' durch die Praxis der Fernreisen durch einen anderen Freiheitsbegriff ersetzt wurde, der die Freiheit des Fliegens nicht mehr den technischen Möglichkeiten des Fliegens und der Tapferkeit der Piloten konnotiert, sondern nunmehr den Umweg über die Freizeit (also die Freiheit von Arbeit) nimmt, wenn auch die 'Flugangst' vieler Passagiere dem noch entgegensteht. Es wird zentraler Inhalt des Projektes sein nachzuforschen, in welchen essentiellen Bildern (articulations) sich eine Kulturgeschichte und Alltagskultur des Fliegens rekonstruieren lässt und wie Politik, Wirtschaft und Militär mit dieser Flugpraxis einerseits umgehen, andererseits zu ihrer Konstituierung beigetragen haben.

(Zwischen)Ergebnisse

Folgende Schwerpunkte wurden zentral betrachtet: Der Pilot: Speziell die Anfangsphase des Fliegens war vom Typus des heldenhaften Fliegers beherrscht, der sich im Laufe der Zeit dann wandelte zum bewunderten Abenteurer und schließlich zum verantwortungsvollen Kapitän eines Linienflugzeugs. Daneben bleiben die anderen Typen jedoch erhalten und spielen besonders in Filmen und Werbesujets noch immer eine große Rolle. Die individuelle Beherrschung der Lüfte: Ein wesentlicher Aspekt des Fliegens sind die Vorstellungen vom individuellen Flugverkehr. Analog der Entwicklungsgeschichte des Automobils als individuellem Massenverkehrsmittel läuft eine Geschichte der Utopien über die private und individuelle Nutzung von Flugzeugen, die mit der Praxis der Entwicklung nie in Einklang stand, obwohl etwa die Kleinflugzeuge der Formen Piper und Cessna eine solche Entwicklung lange Zeit möglich erscheinen leisen. Die Ferne: Die Eroberung der Ferne (in der Vertikale) war erst ab dem Ende der zwanziger Jahre zu einem Teil des Traums vom Fliegen geworden, als das Flugzeug zum Werkzeug des Abenteurers (und der Abenteurerin) wurde. Eine massenhafte Realisierung des Traumes von der gefahrlosen Reise in die Ferne findet sich jedoch erst in den siebziger Jahren mit dem exzessiven Zuwachs von Flugreisen im Massentourismus. Im Bezug auf das Fliegen hängt Ferne sehr oft mit Geschwindigkeit und Beschleunigung zusammen, aber auch mit dem Tourismus, also der 'massenhaften' Eroberung ferner Länder. Fliegen als Massenphänomen: Von Anbeginn war das Fliegen ein Massenereignis. Befanden sich diese Massen jedoch vorerst auf der Erde, von wo aus sie den Fliegern zusahen, sitzen sie nun selbst in den Maschinen. Doch nicht nur die Realisierung, auch der Traum von Fliegen selbst hat mit den Imaginationen von Massen zu tun. Design der Sicherheit: Schon die Zeit des Ersten Weltkrieges brachte frühe Versuche, Flugzeuge für den Kriegseinsatz standfester und haltbarer zu machen, spätestens zu Beginn der Ära der Zivilluftfahrt mußte diese Sicherheit des Fliegens nach außen hin präsentiert werden, gegen die Bilder von Abenteuern und Heldenhaftigkeit verteidigt werden. Seit dieser Zeit ist das Design von Flughäfen und Flugzeugen speziell auf diesen Zweck gerichtet, aber auch die Routinen des Fluges (von der Lautsprecherdurchsage bis zur Verköstigung) stehen im Dienst der Produktion eines Gefühls von Sicherheit und der Minimierung von 'Flugangst'. Die 'Nicht-Orte': Flugzeug und Flughafen: Im Gegensatz zum soziologischen Begriff des Ortes (wie ihn etwa Marcel Mauss verwendet), der eng mit Lokalität und Kultur verknüpft ist, entstehen in Flughäfen und dem Innenraum von Flugzeugen (ebenso wie in Bahnhöfen oder Autobahnraststätten) 'Nicht-Orte', die nicht nur von ihrem Design her neutral und 'kulturlos' sind, sondern auch die Rolle von Durchgangsstationen ('Transiträume' sind Niemandsland für Passagiere) oder von nicht existierenden Orten (man denke an die Abschiebung von Flüchtlingen) übernommen haben und daher besonders zur Analyse der Erfahrung von Zeit und Raum geeignet scheinen. Der Flug in der Kinderwelt: Die vielschichtige Bedeutung des Fliegens lässt sich besonders deutlich an der Quantität und an den Inhalten der zahlreichen Kinder- und Jugendsachbücher ablesen, die sich dem Thema Fliegen widmen. Gerade in solchen Büchern lassen sich die unterschiedlichen Zuschreibungen an das Fliegen genau analysieren. Flug-Bilder: Ein weiterer Bereich, in dem sich die Bedeutung und die Funktion des Fliegens recht klar festschreiben lässt, ist jener der Bilder vom Fliegen. Wie werden im Laufe der Zeit Flugzeuge, Piloten und Flughäfen, wie werden die Passagiere und die Zuschauer abgebildet? Abbildung ist hier im weiteren Sinne auch als literarische Darstellung, aber ebenso als Präsentation des Fliegens etwa in der Öffentlichkeitsarbeit von Flughäfen und Fluglinien, zu verstehen, weiters in den populären Darstellungen auf Werbeflächen und Briefmarken, in Zeitschriften oder Comics. Fliegen und (nationale) Identität: Die per se grenzüberschreitende und 'internationale' Praxis des Fliegens wird schon von Anfang an von nationalen Interessen kontrastiert: Die Erringung von Höhen- oder Weitenrekorden wurde ebenso als Beitrag zu nationalen Identitätsfindung verwendet wie die Erstbefliegung bestimmter Routen, etwa als der Franzose Bl�riot mit seiner Erstüberquerung des Ärmelkanals im Jahr 1909 die Insellage Großbritanniens beendete, wie die dortige Presse berichtete. Besonders der Nationalsozialismus war es, der die nationale Komponente des Fliegens nochmals im politischen Sinn verwendete, ehe die Auseinandersetzungen um die Befliegung verschiedener Routen in den fünziger und sechziger Jahren das nationale Interesse eher mit ökonomischen Interessen verband.