Umgang mit Essstörungen: Wie man Essstörungen frühzeitig erkennt und sich bei Verdacht richtig verhält

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Rasche, Friederike
Erschienen in:Bewegungserziehung
Veröffentlicht:63 (2009), 1, S. 26-30, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Zeitschriftenartikel
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
ISSN:1726-4375
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU201101000460
Quelle:BISp

Abstract

Nach dem Diagnosetool DSM-IV der Amerikanische Vereinigung für Psychologie (APA) wird zwischen vier Formen von Essstörungen unterschieden: der Anorexia Nervosa (AN) oder Magersucht, der Bulimia Nervosa (BN) oder Ess-Brechsucht und der Binge Eating Disorder (BED) oder Esssucht. Essstörungen, die sich aus verschiedenen Merkmalen dieser Störungsbilder zusammensetzen, werden unter dem Begriff „Essstörung nicht näher bezeichnet (ESNNB)“ zusammengefasst. ESNNB werden am häufigsten diagnostiziert, sind aber nicht weniger schwerwiegend als die Reinformen der Essstörungen. Kennzeichen für Anorexia Nervosa sind ein selbst herbeigeführtes Untergewicht und eine Körperschemastörung. Das Gewicht eines/r Betroffenen liegt mindestens 20% unter dem zu erwartenden Normalgewicht. Dennoch empfinden sich Magersüchtige als zu dick und möchten weiter abnehmen. Diese verzerrte Wahrnehmung des eigenen Gewichts und der eigenen Figur wird als Körperschemastörung bezeichnet. Magersüchtige schaffen es, körperliche Bedürfnisse wie Hunger auszuschalten. Magersucht ist in ihrer vollen klinischen Ausprägung eher selten, einzelne Symptome wie rigides oder gezügeltes Essverhalten, Unzufriedenheit mit der eigenen Figur und dem Gewicht oder Diätenhalten treten jedoch relativ häufig auf. Im Gegensatz zur AN treten bei der Bulimia nervosa regelmäßig Essanfälle mit Kontrollverlust, bei denen große Mengen an Nahrung beinahe unter Zwang aufgenommen werden, als deutliches Unterscheidungsmerkmal auf. Bulimikerinnen leiden ebenfalls unter Köperschemastörungen, empfinden sich als zu dick und haben große Angst davor zuzunehmen. Aus dieser Angst greifen sie nach Essanfällen zu gegenregulierenden Maßnahmen wie selbstinduziertem Erbrechen, übermäßigem Sporttreiben, Diäthalten oder der Einnahme von Appetitzüglern, Laxantien oder Diuretika. Die Prävalenz von Essstörungen ist in den letzten Jahren gestiegen und liegt für AN und BN bei 3 % im Alter zwischen 12 und 25 Jahren. Nur 5-20% der Erkrankten sind männlich. Es ist jedoch mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen, da sich Männer besonders schwer tun, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Kennzeichen der Binge Eating Störung sind ebenfalls Essanfälle mit Kontrollverlust. Im Gegensatz zur Bulimie fehlen hier jedoch die gegenregulierenden Maßnahmen. Deswegen leiden auch 30-40 % der Betroffenen zusätzlich unter Adipositas. Typisch für diese Störung sind Übergewicht, schnelles Essen, essen großer Nahrungsmengen ohne Hunger, essen bis zu einem unangenehmen Völlegefühl, allein essen aus Verlegenheit über die Menge und Ekel oder Schuldgefühle bezüglich des Essens. Essstörungen zählen aufgrund ihrer schweren körperlichen Folgeerscheinungen und schlechten Therapieerfolgen zu einer der schwerwiegendsten psychosomatischen Erkrankungen. Neben den psychischen Kennzeichen finden sich zahlreiche körperliche Beeinträchtigungen als Folge der Essstörung. Zu den körperlichen Auswirkungen des Hungerns gehören Untergewicht und Auszehrung. Daraus resultieren trockene Haut, Verlangsamung des Herzschlages, Herzrhythmusstörungen, Kreislaufstörungen und ein niedriger Blutdruck. Aufgrund des geringen Körpergewichts bleibt bei Mädchen die Monatsblutung aus. Ebenfalls kann es zu Störungen des Blutbildes, Stoffwechselstörungen, Schädigungen der Nieren, Lanugobehaarung (Haarflaum an verschiedensten Körperstellen), Durchfall und Blähungen kommen. Magersucht kann durch die verminderte Mineralienaufnahme und Vitaminzufuhr zu Osteoporose führen. Durch den Missbrauch von Abführmitteln und häufigem Erbrechen gibt es in der Bulimie einige weitere körperliche Beeinträchtigungen. Dazu zählen Muskelkrämpfe, Schläfrigkeitsgefühle, Austrocknung, Epilepsie, Nierenschäden, Aussetzen der Magentätigkeit, Risse in der Magenwand, Anschwellen der Speicheldrüsen, Heiserkeit, Halsschmerzen, Zahnschäden, Schädigung der Darmwand und Verletzungen der Speiseröhre. Diese schweren körperlichen Beeinträchtigungen sind zum Teil lebensbedrohlich, vor allem wenn die Essstörungen über Jahre bestehen. Zwölf Jahre nach Behandlungsabschluss leidet knapp die Hälfte der Betroffenen weiterhin an Magersucht, während sogar 7,7 % in dieser Zeit an den Folgen sterben. Der langfristige Verlauf der Bulimie ist mit einer Sterberate von 1-3 % geringer als bei der Magersucht, jedoch gegenüber der Normalbevölkerung ebenfalls erhöht. Zunächst gilt Sporttreiben als Schutzfaktor bezüglich der Entwicklung von Essstörungen. Sportlerinnen sind mit ihrem eigenen Körper zufriedener als Nicht-Sportlerinnen. Bestimmte Gruppen von Leistungssportlerinnen jedoch werden als besondere Risikogruppe bezeichnet. So gelten Sportarten, die mit Gewichtsklassen arbeiten oder Schlankheit betonen, als Risikosportarten. Ein geringes Gewicht wird in diesen Sportarten mit höheren sportlichen Erfolgen verbunden. Bei Leistungssportlerinnen dieser Risikosportarten treten Essstörungen und gestörtes Essverhalten auf jeden Fall häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung. In einer Untersuchung aller norwegischen Athletinnen aus Junioren- und Seniorennationalteams, zeigten 46,7 % der Athletinnen aus schlankheitsbetonenden Sportarten eine klinische Essstörung, 19,8 % aus nicht schlankheitsbetonenden Sportarten und 21,4 % aus der Kontrollgruppe. Durch diese erhöhte Auftretensrate im Sport stößt man immer wieder auf den Begriff Anorexia Athletica. In den klinischen Diagnosesystemen fällt die Anorexia Athletica unter ESNNB. Einige Forscher unterscheiden die Anorexia Athletica von klinischen Essstörungen darin, dass kein Kontrollverlust erlebt wird und davon ausgegangen wird, dass ein Rückkehren zu einem normalen Essverhalten jederzeit und selbständig möglich ist. Es ist wichtig, Essstörungen möglichst früh zu erkennen, um den Therapieerfolg zu erhöhen. Hinter folgenden Verhaltensweisen oder körperlichen Veränderungen kann man Essstörungen vermuten: 1. Größere Gewichtsschwankungen innerhalb kurzer Zeiträume, 2. Diskrepanz zwischen Gewicht und Nahrungsmenge. Aufgrund der schwerwiegenden Folgen einer Essstörung ist es wichtig, präventiv gegen Essstörungen vorzugehen. Lehrer sollten die Lebenskompetenz und allgemeinen Ressourcen ihrer Schülerinnen fördern. Eigenverantwortung und Selbstorganisation sind wichtige Ressourcen zu denen Lehrer anleiten können. Aber auch Problembewältigungsstrategien und soziale Kompetenz sind Schutzfaktoren, die präventiv gegen Essstörungen wirken. Gerade der Sportunterricht eignet sich, um gute Körperwahrnehmung und ein positives Körperbild zu erarbeiten. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)