"Das Herz des deutschen Fußballs schlägt im Ruhrgebiet". Fußball-Land Nordrhein-Westfalen

Gespeichert in:
Bibliographische Detailangaben
Autor:Goch, Stefan
Erschienen in:Forschung und Lehre
Veröffentlicht:16 (2009), 3, S. 182-184
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Zeitschriftenartikel
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
ISSN:0945-5604
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU201001001575
Quelle:BISp

Abstract

Während des Aufstiegs zur Industriegesellschaft breitete sich das Fußballspiel Ende des 19. Jahrhunderts von Großbritannien kommend in Deutschland zuerst in bürgerlichen Kreisen aus. Auch da, wo Fußballvereine in Arbeiterstadtteilen und Industriedörfern gegründet wurden, waren unter den Vereinsmitgliedern nicht die fluktuierenden jungen Arbeiter, sondern die Kinder schon länger relativ sesshafter, „etablierter“ und eher besser qualifizierter Arbeiter, also vor allem Angehörige einer kleinbürgerlichen Arbeiterschaft. So hatte der 1990 gegründete „Ballspielverein Borussia“, aus dem Borussia Dortmund hervorging, Wurzeln im katholischen Milieu. Der FC Gelsenkirchen-Schalke 04 entstand unter dem Namen Westfalia Schalke als Verein von Jugendlichen aus eher kleinbürgerlichen Arbeitnehmerfamilien. Bis in die 1920er Jahre dominierten im Fußball-Westen Vereine, in denen Arbeiter kaum eine Rolle spielten. Erst mit dem Ersten Weltkrieg wurde Fußball auch stärker zum Sport der Arbeiter, während die Vereinsführungen allerdings weiter in den Händen der „Honoratioren“ blieb. Mitverantwortlich für den Siegeszug des Fußballs unter den Arbeitern im Westen war das „wilde Kicken“ auf Straßen und Hinterhöfen, das Körpergefühl der industriellen Arbeiterschaft und Arbeitszeitverkürzungen. In den 1920er Jahren setzte auch die Kommerzialisierung und Professionalisierung des Fußballs ein. Materiell wurde dies im Neu- und Ausbau der Stadien sichtbar, die Einnahmen sicherten. Das Amateurprinzip wurde mit der Entwicklung des Fußballs zum Massenzuschauersport in vielfältiger Weise umgangen. Insbesondere im sehr erfolgreichen FC Schalke 04 fand die Arbeiterschaft in den 1930er Jahren Identifikationsobjekte, die als (vermeintliche) Arbeiter Anerkennung und Ruhm erlangten und bürgerliche Gegner besiegten. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten erfolgte eine weitgehend freiwillige „Gleichschaltung“ des Sports. Bei den Fußballvereinen im Ruhrgebiet erfolgte die Anpassung ohne Auseinandersetzungen, der Sport stand im Mittelpunkt. Die über soziale und politische Schranken hinweg integrierende Wirkung der Fußballbegeisterung wurde von den Nationalsozialisten gezielt instrumentalisiert. Die Fußballer verhielten sich den Machthabern gegenüber loyal, passten sich an und ließen sich gerne für ihre Erfolge feiern. Nach dem Zweiten Weltkrieg startete 1947 als neue westdeutsche oberste Spielklasse die Oberliga West, in der bis in die 1960er Jahre Borussia Dortmund dominierte. Die Mannschaften aus dem Ruhrgebiet verstärkten die Wahrnehmung des westdeutschen Fußballs als Arbeiterfußball. Auch unter den Zuschauern stellten die Arbeiter die Mehrheit dar. In den 1970er Jahren dominierte der rheinische Fußballs, vor allem in Gestalt von Borussia Mönchengladbach. Für die öffentliche Wahrnehmung passte der Niedergang des Fußballs aus dem Ruhrgebiet nur zu gut zum dortigen krisenhafte Strukturwandel. Erst Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre kehrten Borussia Dortmund und der FC Schalke 04 an die Spitze des deutschen Fußballs zurück. Mit der fortschreitenden Kommerzialisierung ist die Inszenierung des Mythos vom Arbeiterfußball für die modernisierten Vereine zu einer sorgsam gepflegten Tradition geworden, die ein medienwirksam verkaufbares Image bietet. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)