Fußball in Afrika: Kolonialismus, Nationsbildung und Männlichkeiten

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Wachter, Kurt
Erschienen in:Arena der Männlichkeit : über das Verhältnis von Fußball und Geschlecht
Veröffentlicht:Frankfurt a.M.: Campus-Verl. (Verlag), 2006, S. 277-295, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200912007797
Quelle:BISp

Abstract

Die Geschichte des afrikanischen Fußballs war auch immer eine Geschichte des Kampfes der Afrikaner um die Aneignung und Umdeutung des Spiels. Im Zuge der Herausbildung postkolonialer Nationalstaaten entwickelte sich der Fußball auf dem afrikanischen Kontinent zu einer bedeutenden Arena der Männlichkeit. Wie kein anderer Aspekt der kolonialen Kultur hat der Fußball Aufnahme in die Herzen der afrikanischen Männer gefunden und sich in einigen Ländern sogar zu einer maskulin-säkularen Religion entwickelt. Die Ausbreitung des Fußballs in Afrika ist eine direkte Folge der imperialen Okkupation und der auf der Berliner Afrika-Konferenz von 1884/85 formalisierten Teilung des Kontinents durch die Europäer. Bereits 1866 fand in der Provinz Natal in Südafrika das erste historisch dokumentierte Fußballspiel in Afrika statt. Gehörten um die Jahrhundertwende vor allem Siedler, Soldaten und Seemänner zu den männlichen Pionieren des Fußballspiels in Afrika, so waren es ab den 1920er Jahren Missionare, Kolonialbeamte und Lehrer, die den Fußball systematisch förderten. Die Imperialisten sahen ihre humanitäre Mission darin, ihre schwarzen, kindähnlichen Subjekte zu beschützen und sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu „zivilisieren“. Neben der Schulerziehung für Knaben betrachtete man gerade die Teamsportarten als das ideale Vehikel einer moralischen Stütze. Fußball sollte also nicht nur den Körper, sondern vor allem den Geist formen. Die Praxis des Wettkampfsports Fußball versprach überdies, ein kulturelles Bindeglied zwischen den verschiedenen Klassen und „Rassen“ herzustellen. In der Phase bis zum Zweiten Weltkrieg setzte ein Prozess der Afrikanisierung und der Aneignung des Fußballs ein. Die Wertigkeiten der zutiefst elitär und angelsächsisch kodierten kulturellen Form wurden allmählich redefiniert und den lokalen kulturellen und politischen Kontexten angepasst. Fußball entwickelte sich langsam zum männlichen Spektakel urbaner Unterschichten, denen sich aufgrund fehlender politischer Partizipation auch das Spielfeld als Ort antikolonialer Dissidenz bot. Im – ursprünglich englischen – Spiel entdeckten frühe politische Akteure, anders als in anderen modernen Teamsportarten, afrikanisch-kollektivistische Werte, die sie für den politischen Kampf als unerlässlich ansahen. Das Fußballfeld wurde als ideale Schule des harten „battle of life“ gehandelt, nicht mehr als Instrument der Aufrechterhaltung kolonialer Unterdrückung, sondern im Dienste der schwarzen Bevölkerungsmehrheit. Nach 1945 wurde der Fußball immer mehr zu einem Trägermedium des Nationalismus, was 1957 – drei Jahre vor der Unabhängigkeit – Zur Bildung des Nationalteams „Les Leopard“ führte. Mit der formalen Dekolonisierung der überwiegenden Anzahl der subsaharischen Länder um 1960 wurde Männer-Fußball ein immer wichtigeres Element des „nationalen Charakters“ Die neuen afrikanischen Führer entdeckten rasch das Potenzial des Fußballs für den Aufbau postkolonialer Staatlichkeit und zur Befestigung der fragilen nationalen Einheit ihrer Staaten. In weiten Teilen des Kontinents bewirkte die direkte Förderung des Fußballs durch die Präsidenten oder über regierungsnahe Institutionen wie Armee, Polizei bzw. verstaatlichte Betriebe einerseits die Anhebung des spielerischen Niveaus, andererseits auch eine stilistische Diversifikation des Spiels, die sich von den kolonialen Vorbildern emanzipierte. Entgegen der kolonialistischen Zuschreibungen an die Afrikaner als robuste, virile und kräftige, aber letztlich undistinguierte Läufer-Naturen trat spätestens ab den 1970er Jahren ein Ideal des afrikanischen Fußballs hervor, dass Spielintelligenz, technische Finessen und spielerisches Flair betonte. Eine weitere Facette des neokolonialen Diskurses über den afrikanischen Fußball ist seine Idealisierung. Im Kontext der Kommerzialisierung und Globalisierung des europäischen Fußballs in den 1990er Jahren wurde ein als natürlich und intuitiv verhandelter afrikanischer Fußball zum Gegenmodell des domestizierten, rationalen Fußballs europäischer Prägung. In einem Anflug von romantischer Nostalgie erhofft man sich vom afrikanischen (Straßen-)Fußball eine „Reinigung“ des von Taktik und Disziplin geprägten modernen Spiels. Bei aller Bewunderung für den scheinbar ungezwungenen und bisweilen magischen Fußball in Afrika sind negative Zuschreibungen, wie sie im Diskurs über afrikanische Körperlichkeit und den Athletizismus des 19. Jahrhunderts konstruiert wurden, allerdings nicht verschwunden. So wurde der FC Barcelona-Star Samuel Eto’s Fils aus Kamerun, der 2005 von der FIFA zum drittbesten Fußballer der Welt gekürt wurde, in der spanischen Liga wiederholt zum „wilden Tier“ degradiert. Die für den Beginn der europäischen Expansion typische Animalisierung und Reduktion des afrikanischen Mannes auf seine Körperlichkeit lebt also auch in transformierter Weise im postkolonialen Zeitalter fort. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)