"TivoliTussen" und Trikotträgerinnen : weibliche Fankulturen im Männerfußball

Gespeichert in:
Bibliographische Detailangaben
Autor:Selmer, Nicole; Sülzle, Almut
Erschienen in:Arena der Männlichkeit : über das Verhältnis von Fußball und Geschlecht
Veröffentlicht:Frankfurt a.M.: Campus-Verl. (Verlag), 2006, S. 123-139, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Fan
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200912007791
Quelle:BISp

Abstract

Das Fußballstadion ist eine eigene Welt und besitzt eine eigene Kultur mit eigenen Regeln. Diese Regeln folgen in weiten Teilen einer männlichen Grammatik und orientieren sich an der Fußball-Normalbiografie des jugendlichen männlichen Besuchers. Ein (zeitweiser) Ausschluss von Frauen findet durch Sexismus und Abwertung statt. Fußball ist Männersache, auch wenn es diverse Möglichkeiten gibt, wie Frauen Fußball zu ihrer Sache machen. Vor diesem Hintergrund zeigen Verf., wie Frauen sich in dieser Fußballfankultur verorten und mit welchen Strategien sie es einrichten, darin zu Hause zu sein. So können Frauen, sofern sie es wollen, sich in dieser Umgebung „eine Scheibe der männlichen Sozialisation abschneiden. Sie können sich ausprobieren in Eigenschaften, Handlungen und Haltungen, die eigentlich für Männer reserviert sind, manchen Frauen jedoch, zumindest zeitweise, näher liegen als die allgemeinen gesellschaftlichen Anforderungen an ihr Geschlecht. [...] Frauen können in der männlich strukturierten Fankultur untertauchen, sie dürfen hier anders sein, nach dem Motto: ‚Hier bin ich Fußballfan mit allem Drum und Dran’ und können darum das tun, was sonst als männlich gilt: schreien, hart sein und alles, was zickig, rosa, zimperlich und schwach ist, rundweg ablehnen. Die Abgrenzung der weiblichen Stehblock-Fans gegenüber Frauen, die eher dem Weibchenklischee entsprechen, ist ein wichtiges Element dieser Fankurven-Fußballkultur.“ Interessant ist auch, dass die meisten weiblichen Fußballfans das Bedürfnis haben, sich vom Feminismus abzugrenzen. In jedem Fall besteht weiblicher Fan-Alltag aus vielen Elementen, wobei ein zwangsläufiger Bestandteil dabei immer die Auseinandersetzung mit der den Fußball prägenden Männlichkeit ist. „Die Strategien dieser Auseinandersetzung reichen vom Ignorieren übers Adaptieren und Ironisieren bis zum Herausfordern und Bekämpfen. Es kann unterschieden werden zwischen der Annäherung an die traditionelle Fußballkultur und der Übernahme von Einstellungs- und Verhaltensmustern, die aus einem anderen Feld, wie der Popkultur stammen. Auf ihre Weise stellen beide Strategien eine Herausforderung für das Fußball-Establishment dar. Frauen, die ein ‚ganzer Kerl’ sein wollen und sind, ebenso wie kreischende Mädchen, denen nichts ferner liegt als das. Das in diesem Beitrag aufgefächerte Kaleidoskop der weiblichen Fankulturen belegt jedoch, das viele der skizzierten Modelle sich aus beiden – und noch mehr – Bestandteilen zusammensetzen: schwärmende Mädchen, die den ‚Kicker’ lesen; abseitsversierte Expertinnen, die den Spielern auf den Hintern gucken, Frauen aus dem Zentrum der Fankurve, die beschließen, einen weiblichen Fanklub zu gründen, aber auf keinen Fall als Feministinnen gelten wollen, ‚Hooligänse’ und ‚TivoliTussen’. Die Geschlechterordnung auf den Rängen gerät vor allem dann ins Wanken, wenn die vermeintlichen Gegensätze zwischen Fan und Frau, Tradition und Kommerz, Bier und Sekt, Kreischen und Brüllen verwischt werden. Und möglicherweise ist ein solches Oszillieren zwischen verschiedenen Polen, das die Vielfältigkeit der weiblichen Fankultur auszeichnet, auch das, was sie grundlegend von der männlichen Fußballtradition unterscheidet. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)