Ins Abseits dichten? Fußball literarisch

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Seggern, Andreas von
Veröffentlicht:Hildesheim: 1996, 157 S.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Monografie
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200605001082
Quelle:BISp

Abstract

Die Liste derer, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts schreibend gegen den Ball traten oder sich gar als leidenschaftlicher Anhänger eines Teams offenbarten, liest sich wie ein „Who is Who“ der deutschsprachigen Literatur. Fußballsequenzen finden sich etwa in den Werken von Robert Musil, Ödön von Horvath, Friedrich Torberg, Hermann Broch, Joseph Roth und Alfred Polgar und in den Essays von Kurt Tucholsky sowie Egon Erwin Kirsch. In der Zeit zwischen 1933 und 1945 erschöpfte sich die literarische Auseinandersetzung mit den im Übrigen von Hitler wenig geschätzten Mannschaftssport überwiegend in agitatorisch getränktem Schriftgut, das sich in erster Linie dem martialischen Duktus des Fußballkommentars verpflichtet fühlte oder sich in Schmonzetten wie Richard Kirns „das große Spiel“ erschöpfte, dessen Roman immerhin als Vorlage für den 1942 gedrehten ersten deutschen Fußballfilm diente. Die ideologisch determinierte deutsche Sportwelt der 1930er und 1940er Jahre bot jedoch auch dramatischen Stoff, exemplarisch nachzulesen in Friedrich Torbergs Gedicht „Auf den Tod eines Fußballspielers“. Der Wiener Autor verarbeitete die tragische Geschichte Mathias Sindelars, der kongenialen Stütze des österreichischen Wunderteams. Sindelars Weigerung, im „großdeutschen“ Team zu spielen, sowie seine Ehe mit einer Halbjüdin nährten bei seinem Tod 1939 Vermutungen über ein Mord-Komplott der Gestapo, die Torberg zu einem bewegenden lyrischen Nachruf inspirierten. Die kulturelle Zäsur des Zusammenbruchs nach 1945 ließ die Kluft zwischen dem Volk – und damit auch dem Volkssport – und seinen Dichtern zunächst wieder wachsen. Nur langsam näherte sich die schreibende Zunft in Deutschland dem verpönten Sujet wieder an. Handkes Text „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ steht für einen Neuanfang in der ambivalenten Beziehung zwischen „Ball und Blatt“ im deutschsprachigen Raum. Autoren wie Ror Wolf oder Eckhard Henscheid offenbarten in ihren Texten sogar flammende Begeisterung für das Fußballspiel, wofür nicht zuletzt die Aufbruchstimmung der Epoche die Bahn ebnete. Die Bundesrepublik hatte sich zum ökonomischen, sozialen und gesellschaftlichen Erfolgsmodell gewandelt, was sich auch in den Leistungen der deutschen Nationalmannschaft spiegelte. Schon bei der WM 1970 in Mexiko, erst recht aber bei den Spielen der EM 1972 zeigten die deutschen Fußballer eine nie zuvor sichtbare technische Brillanz und spielerische Eleganz. Nick Hornbys literarischer Coup „Fever Pitch – Ballfieber“ setzte in den 90er Jahren Maßstäbe. In der von ihm dargeboten Prosa liegt ein besonderer Reiz für eine zukünftig lukrativere Verknüpfung von Literatur und Fußball auch in deutscher Sprache. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)