Mehr als ein Spiel : Fußball und populare Kulturen im Wien der Moderne

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Horak, Roman; Maderthaner, Wolfgang
Veröffentlicht:Wien: 1997, 227 S., Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Monografie
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
ISBN:3854092768
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200512002954
Quelle:BISp

Abstract

Die Einwohner Wiens sind durch eine besondere Mentalität gekennzeichnet: eine eigentümliche Mischung aus Lebensfreude und Melancholie, aus Hedonismus und Selbstironie, aus Fortschrittsglauben und raunzerischer Skepsis. Durch diese Mentalität hob Wien sich besonders zwischen den beiden Weltkriegen von anderen zeitgenössischen westlichen Metropolen als ein „Refugium des Humanen“ ab. Die Lust am Schauen und die Freude am öffentlich inszenierten Spektakel hat ihre Wurzeln in einer vormodernen, volkskulturellen Tradition. Sie zentriert sich in der Zeit zwischen den Weltkriegen unter anderem im Fußballsport, dessen Popularität ungeahnte Dimensionen annahm. Im Gegensatz zu anderen Ländern ist der Fußball in Österreich ein ausschließlich urbanes, auf die Hauptstadt konzentriertes Phänomen, zugleich aber international. Ihre Gegner finden die Wiener Klubs in den städtischen Zentren der mitteleuropäischen Nachbarländer. Die großen Fußballhelden der in diesem Buch behandelten Zwischenkriegsjahre sind „Legionäre“ aus den Nachfolgestaaten oder sie entstammen, wie bspw. Pepi Uridil und Matthias Sindelar, einem vorstädtischen Zuwanderermilieu. Die produktive Basis des Wiener Fußballs bildeten die Arbeitervorstädte und die überwiegende Mehrheit der Aktiven und Zuschauer stammt aus ihnen. Daneben kommt aber auch der bürgerlichen City ein entscheidender Stellenwert zu: sowohl in Form von Mäzenen und Betreibern von Großklubs als auch in Form von Bohemiens und Kaffeehausliteraten, die das massenkulturelle Spektakel zum Gegenstand der Feuilletons und eines witzig-geistreichen Diskurses machten. Es ist diese ganz unverwechselbare, typisch wienerische Melange, die Durchmischung von vorstädtischen und innerstädtisch-urbanen Lebenswelten, das Ineinandergreifen von popularer und elitärer Kultur, die dem Wiener Fußball in der Zwischenkriegszeit zur Weltgeltung verhalf und eine anerkannte „Wiener Schule“ entstehen ließ. Verf. beleuchten vor diesem Hintergrund ganz bestimmte Facetten der popularen Kultur Wiens am Beispiel des modernen Massenspektakels Fußball. Rapid steht dabei prototypisch für die Vorstadt, Austria für das liberal-großbürgerliche Innenstadtmilieu, wobei sich die Auflösung beider Paradigmen im legendären Wunderteam findet. Die großen Stars und Volkshelden aus den Vorstädten sind ebenso Thema des Buches wie die Kultur des Kaffeehauses und die typisch wienerischen Züge schlechthin. Das Buch gliedert sich neben Einleitung und Epilog in acht Großkapitel: [1] Ein massenkulturelles Phänomen (Der Bruch der Disziplin; Inszenierungen von Männlichkeit; Urbane Landschaften und ein Stadion; Mob, Abschaum, Lumpenproletariat). [2] Fußball und Devianz – ein früher Diskurs über Zuschauergewalt. [3] Die produktive Basis: die Vorstadt (Marginalien zu einer Theorie der Vorstadt; Im Schatten einer großen Fabrik; Fetzenlaberl und Gassenbuam; Lokale Bindung und soziale Identität; Die Kraft des Willens – die Rapid aus Hütteldorf). [4] Der Tank und die Kulturindustrie (Pflicht und Ehre; „Männlicher“ Fußball versus „Weibliches“ Kino; De Man in der Theorie, Uridil in der Praxis). [5] Das Kaffeehaus als Ort und Metapher, Repräsentation und anderes Spielfeld (Varieté, Unterhaltung, bessere Gesellschaft; Eine Organisation der Desorganisierten; Exkurs zum Wiener Kaffeehaus; Geschäft, Wetten und Tabak: Fußball im Café; Eine Form von Modernisierung; Professionalismus zwischen Avantgarde und Scheitern). [6] Der papierene Tänzer (Ein Genie wahrsten und höchsten Sinn; Vereinnahmung, Mythologisierung, Legendenbildung). [7] Ein Dokument wienerischen Schönheitssinns (Die große Depression; Essenz und dialektische Auflösung: das Wunderteam; Ein österreichisches Schicksal). [8] Internationalität – Migration (Krisenszenarien und Wanderbewegungen; Vazierende Artisten und ein zionistisches Projekt – die Hakoah). Das Buch basiert auf einer Forschungsarbeit, die vom Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, dem Bundesministerium für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz sowie der MA 7 – Wien-Kultur in Auftrag gegeben und gemeinsam mit Matthias Marschik durchgeführt wurde. Schiffer