Täter und Opfer, Sieger und Verlierer - die kulturelle Version der Erzählung

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Peyker, Ingo
Erschienen in:Fußball und mehr ...: ethische Aspekte eines Massenphänomens
Veröffentlicht:Innsbruck: Tyrolia Verl. (Verlag), 2003, S. 11-36, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200405001642
Quelle:BISp

Abstract

Verf. geht der Frage nach, warum es historisch gesehen bisher nur dem Sport, diesem "Ritual in einer Als-ob-Welt", gelungen ist, bei allen Völkern der Erde, allen Gesellschaftsformen trotz religiöser, weltanschaulicher und rassischer Unterschiede eine Rechtsordnung zu etablieren, die von allen Beteiligten ausnahmslos akzeptiert wird, nämlich das Schiedsgericht, das über die Regeln im Sport wacht. Keinem Moralsystem, wie Menschen- oder Völkerrecht, ist dies bislang gelungen. Der Sport hat in einer weltweiten Absprache durch ein institutionalisiertes Regelsystem einen kulturellen Überbau etabliert, der sowohl Zustimmung und Verbindlichkeit als auch Verständnis und transparente Einsicht in dieses Handlungsschema ermöglicht. Dieses Regelsystem ist es, das die "Härte" der "natürlichen Geschichte" mildert oder zumindest doch die Möglichkeit einer humanen Welt im Sport signalisiert. Es ist die Vorstellung, dass die einseitige "Täter-Opfer-Beziehung" - die im Rahmen des naturhaft ablaufenden Geschehens immer eine Konsequenz der Durchsetzung von Interessen und des Konflikts um Ressourcen ist - durch Regeln aber so verändert werden kann, dass bei nächster Gelegenheit der Auseinandersetzung eine Umkehrung dieses Machtverhältnisses möglich ist. Dieses verkörperte Drama simuliert und imaginiert in vereinfachter Abfolge die wesentlichen Sequenzen der Welterfahrung, der Auseinandersetzung mit jenen anderen, die nach den gleichen knappen Ressourcen suchen. Diese "Morphologie der Sport-Erzählung" wird Verf. zufolge aus Vergangenheit (biologische Radikale), Gegenwart (kulturell normierter "Überbau", Regeln) und Zukunft (Entwurf einer "humaneren" Welt) gebildet. So wie der Pfiff des Fußballschiedsrichters ein Zeichen für Ordnung, eine "Komplexreduktion" einer Vielfalt von Verhaltensbeschreibungen, -erwartungen und -sanktionen darstellt, so ist auch die rote Karte ale ein symbolischer Ordnungsruf mit weltweiter Geltung anzusehen. Durch das "Zücken" der roten Karte wird der "Täter" ausgeschlossen, weil er seine Triebe nicht zivilisiert bzw. domestiziert hat, weil er nicht fähig ist, sein "Opfer" zu achten. Durch den Ausschluss des "Täters" wird dem "Opfer" bzw. seiner Mannschaft ein Vorteil im Konkurrenzkampf zugesprochen. Der Zuschauer kann sich als Zeuge darauf verlassen, einmal als mögliches "Opfer" auch einen Vorteil dann zugesprochen zu bekommen, wenn sich das Gegenüber nicht an die sozialen Konventionen hält. In dieser "Komplexreduktion" eines verflochtenen sozialen Beziehungsgefüges erfahren die Beteiligten und Beobachter unmittelbar, dass soziale Regulationsmechanismen wirksam sind. Diese Simplifizierung und Transparenz des Geschehens ermöglicht im Übrigen auch die Übertragung sportlicher Aussagen (z. B. "Dieser oder jener Politiker konnte die Hürde nicht nehmen" oder: "Er legte sich die Latte zu hoch") als Metaphern in den Alltag, um so komplizierte, rational schwer erfassbare Vorgänge vereinfacht darzustellen. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)