"Killer" and "Cat". Die ungewöhnliche Karriere des Boxers und Fußballers H. Winokur in Shanghai

Gespeichert in:
Bibliographische Detailangaben
Autor:John, Michael; Lichtblau, Albert
Erschienen in:Davidstern und Lederball. Die Geschichte der Juden im deutschen und internationalen Fußball
Veröffentlicht:Hildesheim: Verl. Die Werkstatt (Verlag), 2003, S. 478-487, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200306001426
Quelle:BISp

Abstract

Der 1922 geborene Horst Winokur war ein besonderes Bewegungstalent und spielte bereits mit zehn Jahren in der Bubenmannschaft von Hertha BSC Berlin. Da sein Vater jedoch Jude war, war die Familie gezwungen, 1938 Deutschland in Richtung Shanghai zu verlassen, wo Juden damals noch ohne größere Formalitäten aufgenommen wurden. Obwohl Shanghai als eine der wichtigsten chinesischen Fußballstädte galt, war der Fußballsport dort ursprünglich eine Domäne der im International Settlement und der French Concession Shanghais lebenden Europäer. Die Teams waren dementsprechend nach den Herkunftsstaaten der Spieler zusammengesetzt. In Shanghai wurde in der so genannten Shanghai League gespielt und auch eine jüdische Mannschaft des Jewish Recreation Club (J.C.R.) spielte in dieser Liga. Der Fußballmannschaft des J.C.R. gelang jedoch erst 1933 der Aufstieg in die erste Division der Shanghai League. Später gehörten der Mannschaft auch etliche NS-Flüchtlinge an, unter ihnen war auch der Goalkeeper Horst Winokur. Mit der Spielsaison 1940/41 wurde die Jewish League, der bis zu acht Mannschaften angehörten, etabliert. Damit spielten die Flüchtlinge völlig abgeschlossen in einer eigenen Liga und konnten fortsetzen, was sie in Europa so liebten: das Fußballspiel. Horst Winokur spielte jedoch nicht nur in mehreren Mannschaften der Jewish League, sondern machte sich auch als Boxer einen Namen. Sport war insgesamt sehr wichtig, den von der ständigen Bedrohung eines "Exillebens im Wartesaal" belasteten Zustand der Flüchtlinge zu kompensieren. Sei es beim Fußballspielen oder Boxen, hier konnten die Sportler Aggressionen körperlich ausleben und das zahlreiche Publikum durfte seine Wut und Frustrationen in Anfeuerungsrufen und wütendem Schreien ventilartig ausleben. Boxen wurde nach der Befreiung von der japanischen Besetzung zu einem besonders publikumswirksamen Sport; 1945 bis 1948 wurde in Shanghai viel geboxt und auch gewettet. In Shanghai sah Horst Winokur wie die meisten anderen keine Perspektive und rechnete mit der Machtübernahme durch die Kommunisten. Nach Deutschland zurückzugehen war für den ehemaligen russischen Staatsbürger keine Alternative, so gingen er und seine spätere Frau Gerti Fischer nach San Francisco. Dort wurde Horst Winokur bereits von den Mitgliedern der San Francisco Hakoah erwartet. Mit dem Beitritt zur Mannschaft war auch schon ein Arbeitsplatz reserviert. Als die Los Angeles Hakoah Winokur ein Jahr später abwarb, wurde ihm wiederum auch eine Arbeitsstelle vermittelt. Fußball half demnach abermals bei der Integration in eine völlig fremde Kultur und konnte somit den Bogen der biografischen Kontinuität zur Ausgangssituation in Berlin spannen. Schiffer