Turnvater Jahn und seine aufsaessigen Soehne

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Richartz, Alfred
Erschienen in:Sozial- und Zeitgeschichte des Sports
Veröffentlicht:13 (1999), 2, S. 7-23, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Zeitschriftenartikel
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
ISSN:0931-7031
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU199912405401
Quelle:BISp

Abstract

In aelteren Konzepten wurde die Rolle des Vaters vor allem fuer die Bedeutung der maennlichen Sozialisation lange Zeit unterschaetzt. Aus heutiger Sicht wird dem Vaterbild jedoch ein zunehmendes Gewicht fuer die Entwicklung von Heranwachsenden eingeraeumt. Ausgehend von diesem entwicklungspsychologischen Ansatz wird aufgezeigt, dass Friedrich Ludwig Jahn als "Gruendervater" der deutschen Turn- und Nationalbewegung - quasi als komplementaeres Element zum "Vaterbild" - einen wesentlichen Einfluss vor allem auf die politische Bildung seiner jugendlichen "Turnsoehne" hatte. Mit der Einrichtung eines Turnplatzes auf der Berliner Hasenheide (1811) wurde Jahn zur Leitfigur vieler jugendlichen Turner, die sich neben dem Vergnuegen an "wilden Spielen" vor allem politische Ziele setzten: den Kampf gegen die franzoesische Besatzungsmacht. Aus dieser Keimzelle entwickelte sich, insbesondere nach den Freiheitskriegen (1813/14) eine folgenschwere territorial verbreitete politisch motivierte Nationalbewegung, die sich schnell von den Gymnasien auf die Universitaeten und auf die sich gleichzeitig entwickelnde Burschenschaftsbewegung ausdehnte. Verf. zeigt hier am Beispiel der fruehen deutschen Turnbewegung auf, wie "Vater-Sohn-Bilder" im deutschnationalen Diskurs politisch instrumentalisiert wurden. Viele "Turnsoehne" verstanden im psychodynamischen Sinne ihren "Wahlvater" Jahn als Prophet eines modernen Volkes Gottes und als Wohltaeter der Menschheit. Die grenzenlose Bewunderung Jahns erwies sich waehrend dieser Zeit in doppelter Hinsicht als politisch ausserordentlich produktiv: 1. "Die Spaltung des Vaterbildes in den guten und den boesen Vater"; 2." Das passgenaue Ineinandergreifen der narzistischen Groessenwahnphantasien des Turnvaters und die idealisierte Uebertragung auf die Turnsoehne". Verf. meint, dass letztlich die Idealisierung des Turnvaters Jahn zu einer "Entwertung" und "Daemonisierung" des Fremden, basierend auf Spaltungsprozesse zwischen "Gut" und "Boese", fuehrte und den sog. "Reinheitsvorstellungen" vieler Heranwachsenden Vorschub leistete. Lemmer