Entwicklung einer person-orientierten Bewegungstherapie in der medizinischen Rehabilitation

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Bibliographische Detailangaben
Leiter des Projekts:Huber, Gerhard (Universität Heidelberg / Institut für Sport und Sportwissenschaft, Tel.: 06221 544215, gerhard.huber at issw.uni-heidelberg.de); Sudeck, Gorden (Universität Tübingen / Institut für Sportwissenschaft, Tel.: 07071 297603, gorden.sudeck at uni-tuebingen.de)
Mitarbeiter:Weiß, Klaus (Universität Heidelberg / Institut für Sport und Sportwissenschaft, Tel.: 06221 544215, klaus.weiss at issw.uni-heidelberg.de); Müller, Michael (Universität Heidelberg / Institut für Sport und Sportwissenschaft, Tel.: 06221 544215, michael.mueller at issw.uni-heidelberg.de); Belizer, Willy (Universität Tübingen / Institut für Sportwissenschaft, Tel.: 07071 2976547, willy.belizer at uni-tuebingen.de); Bosch, Raimund
Forschungseinrichtung:Universität Heidelberg / Institut für Sport und Sportwissenschaft; Universität Tübingen / Institut für Sportwissenschaft
Finanzierung:Deutsche Rentenversicherung Bund
Format: Projekt (SPOFOR)
Sprache:Deutsch
Projektlaufzeit:01/2012 - 08/2014
Schlagworte:
Erfassungsnummer:PR020120700160
Quelle:Projektmeldung

Zusammenfassung

I. Hintergrund
Die Evidenzlage für positive Effekte körperlicher Aktivität in der Rehabilitation verschiedener chronischer Erkrankungen ist mittlerweile immens. Vor diesem Hintergrund gehört die Be-wegungstherapie zu einer festen Säule innerhalb multidisziplinärer Rehabilitationsprogram-me. Der Bewegungstherapie in der medizinischen Rehabilitation gelingt es bisher jedoch nicht zufriedenstellend, erfolgreich auf eine Bindung an körperlich-sportliche Aktivität im Anschluss an eine Reha-Maßnahme hinzuwirken. Diese ist aber erforderlich, um nachhaltige Gesundheitswirkungen körperlich-sportlicher Aktivitäten zu erzielen und den Rehabilitati-onserfolg zu sichern.
II. Ziele und Fragestellungen
In diesem Forschungsprojekt soll dem Problem der mangelnden Nachhaltigkeit durch eine stärker person-orientierte Bewegungstherapie auf Basis einer individuellen Diagnostik von Personmerkmalen begegnet werden. Neben den körperlich-motorischen Voraussetzungen, die aktuell viele Therapiekonzepte aufgrund ihrer Bedeutung für das körperliche Training dominieren, soll im Rahmen einer person-orientierten Bewegungstherapie ein breiteres Spektrum personaler Voraussetzungen in die Diagnostik einbezogen werden und als Aus-gangspunkt für eine stärker auf den individuellen Bedarf ausgerichtete Bewegungstherapie genutzt werden. Als Entwicklungsschritte auf dem Weg zu einer stärker person-orientierten Bewegungstherapie wurde folgenden Fragen nachgegangen:
• Welche personalen Voraussetzungen weisen eine substanzielle Heterogenität in der Reha-Zielgruppe auf und bieten dadurch Ansatzpunkte für eine Differenzierung in-nerhalb der Bewegungstherapie?
• Welche Subgruppen bzw. Segmente von Personen mit ähnlichen personalen Voraus-setzungen lassen sich voneinander abgrenzen und werden von Praxisakteuren gleichermaßen als pragmatisch bedeutsam erachtet?
• Welche Konsequenzen lassen sich aus den gewonnenen Erkenntnissen für eine stär-ker person-orientierte Bewegungstherapie ziehen?

III. Studiendesign und Methoden
In einer ersten Studienphase wurde eine Querschnitterhebung bei 1075 Rehabilitandinnen und Rehabilitanden zu Beginn einer Rehabilitationsmaßnahme in den Indikationsbereichen Kardiologie, Orthopädie, Onkologie und Stoffwechselerkrankungen durchgeführt. Die Erhe-bungen erfolgten anhand eines Fragebogenverfahrens, das ein möglichst breites Spektrum personaler Voraussetzungen abdecken sollte. Mit Orientierung an dem Modell einer bewe-gungsbezogenen Gesundheitskompetenz (Pfeifer, Sudeck, Geidl & Tallner, 2013) wurden personale Merkmale aus den Bereichen motivational-volitionale Verhaltensdeterminanten, Motive und Ziele für Sportaktivitäten, Steuerungskompetenzen für gesundheitswirksame Bewegung, körperlich-motorischer Zustand, Sport- und Bewegungsaktivität, Gesundheit und Befinden sowie Erwartungen an die Bewegungstherapie einbezogen.
Der erste Analyseschritt der Studienphase I bezog sich auf die begründete Auswahl von per-sonalen Merkmalen, die ins Zentrum für die Differenzierung der Zielgruppe gestellt werden sollten (sog. segmentbildende Merkmale). Als relevante segmentbildende Merkmale wurden auf Basis formal-statistischer Kriterien sowie inhaltlich-konzeptioneller Abwägungen folgen-de personale Voraussetzungen ausgewählt: sportbezogenes Motiv Gesundheit/Fitness, Pla-nung sportlicher Aktivität, Selbstwirksamkeit für die Verhaltensumsetzung, affektive Einstel-lung gegenüber körperlicher Aktivität, wahrgenommene Barriere einer Unsicherheit in Bezug auf Körper-Bewegung sowie der motorische Funktionszustand.
Als zweiter Analyseschritt der Studienphase I erfolgte eine indikationsspezifische Differenzie-rung der Reha-Zielgruppe auf Basis clusteranalytischer Auswertungen.
In der Studienphase II wurden die identifizierten Segmente zum einen im Rahmen einer Fo-kusgruppe mit sechs Bewegungstherapeutinnen und Bewegungstherapeuten hinterfragt und in ihren Konsequenzen für eine person-orientierte Bewegungstherapie reflektiert. Zum an-deren wurden die diagnostischen Verfahren und Segmente der Reha-Zielgruppe durch eine kommunikative Validierung im Rahmen qualitativer Interviews mit 62 Rehabilitandinnen und Rehabilitanden geprüft.

(Zwischen)Ergebnisse

Ergebnisse In die Datenauswertungen der Studienphase I konnten Informationen von 1028 Rehabilitan-dinnen und Rehabilitanden aus den vier Indikationsbereichen eingeschlossen werden. Der Anteil der Frauen betrug 44% und der Altersdurchschnitt lag bei ca. 54 Jahren. Mittels der Clusteranalysen ließen sich für die einzelnen Indikationen zwischen fünf und sie-ben Segmente aus Rehabilitandinnen und Rehabilitanden mit ähnlichen personalen Voraus-setzungen identifizieren und voneinander abgrenzen. Die Kriterien für die Güte der Model-lanpassung, die für die Clusteranalysen vorliegen, wiesen auf eine gute Homogenität inner-halb der einzelnen Cluster hin und zeigten eine zufriedenstellende bis gute Abgrenzbarkeit der Cluster untereinander. Die Stabilität der Cluster unter Anwendung unterschiedliche Clus-teranalyse-Verfahren war als gut zu bezeichnen (Kappa= .70 - .82). Diskussion und Konsequenzen für die Rehabilitationspraxis Die Differenzierung verdeutlicht mögliche Ansatzpunkte für einen unterschiedlichen Versor-gungsbedarf im Rahmen einer biopsychosozialen Gestaltung der Bewegungstherapie und der Hinführung zu körperlich-sportlichen Aktivitäten. Hierfür gaben die qualitativen Studienteile eine Bekräftigung für die Verständlichkeit und die Relevanz des Ansatzes einer person-orientierten Bewegungstherapie. Als wichtige Voraussetzung für die Umsetzbarkeit wurde im Rahmen des Projekts ein computergestütztes diagnostisches Verfahren für die personalen Merkmale und die individuelle Segmentzuordnung erstellt. Die vollzogenen Entwicklungsschritte für eine person-orientierte Bewegungstherapie ermög-lichen eine individuelle Bedarfsfeststellung auf Basis personaler Voraussetzungen in Ergän-zung zu bestehenden Diagnosemöglichkeiten und bieten eine substanzielle Ergänzung für eine patientenorientierte Planung von Bewegungstherapie. Im Abschlussbericht werden un-terschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten einer methodischen, didaktischen bis hin zu einer organisatorischen Differenzierung diskutiert, die auch eine „niedrigschwellige“ Umsetzung einer person-orientierten Bewegungstherapie ermöglichen sollten. Auf Basis dieser Entwicklungsschritte ist der Mehrwert einer person-orientierten Bewe-gungstherapie für die Erreichung biopsychosozialer Zielsetzungen der Bewegungstherapie und der Hinführung zu gesundheitswirksamer körperlich-sportlicher Aktivität empirisch zu prüfen. Diese Evaluation sollte neben der relativen Wirksamkeit auch Aspekte der Imple-mentation des Ansatzes unter den Bedingungen der Rehabilitationspraxis in den Blick nehmen.