Programm zum systematischen Aufbau, Einsatz und zur Evaluation mentaler Wettkampf-Routinen im Spitzensport - Studien in Einzel- und Mannschaftssportarten

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Bibliographische Detailangaben
Leiter des Projekts:Schack, Thomas (Universität Bielefeld / Abteilung Sportwissenschaft / Arbeitsbereich Neurokognition und Bewegung - Biomechanik , Tel.: 0521 106-5127, thomas.schack at uni-bielefeld.de)
Mitarbeiter:Valentzas, Konstantinos; Lex, Heiko; Hager, Annette
Forschungseinrichtung:Universität Bielefeld / Abteilung Sportwissenschaft / Arbeitsbereich Neurokognition und Bewegung - Biomechanik
Finanzierung:Bundesinstitut für Sportwissenschaft (Aktenzeichen: 071008/05)
Format: Projekt (SPOFOR)
Sprache:Deutsch
Projektlaufzeit:01/2005 - 12/2006
Schlagworte:
Erfassungsnummer:PR020060700163
Quelle:Jahreserhebung

Zusammenfassung

I Projektziele: 1) Einsatz und Entwicklung forschungsmethodischer Instrumente zur Analyse vorhandener Routinen (Diagnoseprogramm: routine-analysis). Dabei geht es um: a) eine effektive Analyse der vorhandenen Routinen mittels Fragebogen; Interview, Beobachtung (Spielanalyse) und durch die Entwicklung eines computergestützten Diagnosetools zur Abfrage vorhandener Routinen (Analysebaustein 1: Routinen); b) eine Analyse der mentalen Stabilität und Stressregulation mittels computergestützter Diagnosetools, sowie Interview und Trainerbefragung (Analysebaustein 2: mentale Kapazität); c) eine Ermittlung der motorischen Technikansteuerung in kritischen Situationen des Volleyballspiels (systematische Beobachtung und Bewegungsanalyse in kritischen Situationen des Volleyballspiels) (Analysebaustein 3: motorische Ansteuerung). 2) Aufbauend auf diese Analysebausteine und Analyseschritte wird es möglich, individualisierte Diagnose- und Trainingsstrategien abzuleiten. Dabei geht es darum, für die jeweiligen Sportarten und dort für die ausgewählten Techniken möglichst individualisierte Voraussetzungen zu schaffen (routine- definition). Besonders interessant ist es, in einem ersten Schritt beispielsweise: -Aussagen über Zusammenhänge zwischen mentaler Kapazität (Analysebaustein 2) und motorischer Ansteuerung (Analysebaustein 3) zu treffen; -Zusammenhänge zwischen der Nutzung von Routinen (Analysebaustein 1) und der der erfolgreichen motorischen Ansteuerung (Analysebaustein 3) zu erfassen. Weiterhin soll je nach Sportart (vgl. Abschnitt 3) und je nach individuellem Bedarf in Absprache mit dem Trainer und Sportler die geeignete Form von Routinen (Pre-, between-, und /oder post- performance-Routine) gefunden werden. 3) Das nächste aufbauende Ziel besteht in der Entwicklung der definierten und leistungsfördernden Routinen, (als pre- performance; post-performance; between-performance-routines) so wie das unter Punkt 3: Ansatzpunkte in der Praxis des Hochleistungssports beschrieben wurde (routine-development). 4) Das abschließende Ziel des Projektes besteht in der Evaluation der Effekte (routine-evaluation). Hier werden individuelle Prä-Posttest-Vergleiche im Training und Wettkampf angestellt. Mittels Bewegungsanalysesystemen können Vergleiche zu vorherigen Wettkämpfen angestellt werden. Wesentlich ist eine leistungsbezogene Evaluation, z.B. eine messbare Erhöhung der erfolgreich verwandelten Sprungsaufschläge summarisch über alle Situationen des Spiels und insbesondere in kritischen Spielsituationen im Volleyball. Weiterhin wird die Zufriedenheit bei Trainern, Co-Trainern und Spielerinnen bzgl. der Aussagen zur Diagnostik (routine-analysis), der Durchführung und Erfolge des Trainings der Routinen (routine-tools) und der generellen Zusammenarbeit zwischen Trainern, Spielern/ Sportlerinnen und Forschungsteam in den verschiednen Sportarten evaluiert. II Arbeitsplanung: Der eigene theoretische Ansatz baut grundlegend auf die Handlungstheorie (Nitsch, 1986; 2000) auf und integriert sowohl aktuelle sportpsychologische und bewegungswissenschaftliche Ansätze (vgl. etwa Schack, 2002) als auch relevante Aspekte aus den aufgeführten Theorien. Diese Theorie wurde als mental calibration model beschrieben (Schack & Whitmarsh, 2004). In diesem Modell wird davon ausgegangen, dass Routinen sowohl Rahmenbedingungen für die Aufmerksamkeitsorganisation als auch für die mentale Simulation der künftigen Handlung bieten. Während nun die Aktivation-Set- Hypothese von physiologischen und psychologischen Sets ausgeht, die zu aktivieren seien, geht dieses Modell davon aus, dass es vor allem mentale und motorische Komponenten sind, die für eine optimale Technikausführung wesentlich sind. Zweifellos ist eine Körpererwärmung die Voraussetzung für eine optimale Technikausführung. Gleichzeitig kann der Einbruch der Leistung in kritischen Wettkampfsituationen eher selten durch das Fehlen der körperlichen Erwärmung erklärt werden. Beispielsweise sind im Volleyball Leistungsunterschiede zwischen normalen und kritischen Wettkampfsituationen nicht durch körperliche Erwärmungsfaktoren zu erklären. Die Sportlerinnen und Sportler sind in beiden Fällen körperlich genauso erwärmt. Insofern ist Körpererwärmung im Wettkampf zwar wichtig, sie beeinflusst aber kaum die Leistungsausbeute im Wettkampf kausal. Sportler sind sich in der Regel im Klaren darüber, welche Bedeutung Erwärmung hat und setzen sie demzufolge aktiv ein. Die Feinregulierung eines Motors vor einem Formel 1-Rennen wird auch am warmen Motor vorgenommen. Alles andere (Motor nicht warmgelaufen oder aus) wäre Unsinn. Uns geht es (mit dem Einsatz von Routinen) um so etwas wie die Feinregulierung vor dem Start und um die Beibehaltung der optimalen Einstellungen während des Wettkampfes, d.h. auch in kritischen Situationen des Rennens. Probleme in kritischen Situationen des Spitzensports ergeben sich also nicht aus der fehlenden Erwärmung, sondern vielmehr daraus, dass Handlungskontrollkomponenten und damit mentale Rahmenbedingungen fehlen, um adäquate Handlungsprogramme zu aktivieren und die Aufmerksamkeit optimal zu lenken und dass mentale tools fehlen, die die Ansteuerung der motorischen Technikprogramme übernehmen. Weiterhin schaffen Routinen Raum für die mentale Simulation der Bewegung und sie schaffen einen Rahmen für Probehandlungen (etwa Prellen des Balles). Auch durch solche Probehandlungen wird die auszuführende Technik mental kalibriert. Der Sportler bekommt beispielsweise ein Gefühl für den Ball, die Halle, für seinen Körper und den Atem. Damit geht es also bei der Entwicklung von Routinen insgesamt betrachtet um die mentale Kalibrierung von Handlungsprogrammen, die die Bewegungsausführung vorbereiten und um die mentale Kalibrierung motorischer Programme, die die Technikausführung tragen. Routinen führen zu einer Feinregulierung des Handlungssystems in Abstimmung auf das relevante Ziel. Diese Feinregulierung führt zu einer Einpassung in die Umwelt und schafft eine kooperative Verbindung zwischen physiologischen und psychologischen Faktoren der Handlung. Wie bei der Feinregulierung eines Motors werden durch Vor-Wettkampf-Routinen alle Komponenten des Handlungssystems auf die Bedingungen der Halle oder der Laufbahn, auf die Lufttemperatur und das Wetter u.s.w. eingespielt (kalibriert). Aus dieser Theorie lassen sich vier grundlegende Schritte zur Entwicklung von Routinen ableiten: 1) Schaffen mentaler Rahmenbedingungen: Eine wichtige Aufgabe von Routinen ist es mentale Rahmenbedingungen zu schaffen, welche eine optimale Aktivierung aufgabenorientierter physiologischer und motorischer Technikmuster erlaubt. Solche mentalen frames enthalten u.a. das Ziel der Bewegung, relativ automatisierte Handlungsmuster und mentale tools, die diese Muster antriggern. Routinen funktionieren in diesem Sinne, bezogen auf die Aufmerksamkeit, wie ein Scanner, der nur noch aufgabenförderliche Informationen aufnimmt. 2) Entwickeln mentaler Mittel für die Kontrolle in kritischen Situationen (Basisregulation): Verschiedene Studien haben gezeigt, dass cue-words oder Selbstinstruktionen eine stabilisierende Wirkung auf die Leistung haben (vgl. Boutcher, 1990; Schack, 1997). In diesem Sinne sind cue-words oder Selbstinstruktionen mentale tools, welche dem Athleten helfen, sich auf die Aufgabe zu konzentrieren. Solche Selbstinstruktionen können beispielsweise auf dem Weg zum Schießen im Biathlon eingesetzt werden, um die Aufmerksamkeit auf die künftige Handlung zu lenken. 3) Einsatz von mentalen Mitteln, um die Technik motorisch anzusteuern (Prozessregulation): Hier geht es darum, etwa solche technikbegleitenden Selbstinstruktionen, wie „High!“, „Jump!“, „High!“ einzusetzen, um den Sprungaufschlag stabil, effektiv und optimal anzusteuern. Dabei dient das erste „High!“ als cue, um den Ball hochzuwerfen. „Jump!“ stabilisiert den Absprung zum Sprungaufschlag und mit „High!“ wird der Ball hoch angeschlagen. 4) Aufbau einer kompletten Routine, die sich aus verschiedenen Elementen (routine tools) zusammensetzt. Insgesamt ist eine Routine ein Handlungs- oder Verhaltensrahmen, der sich aus stabilen und variablen Elementen zusammensetzt. Dabei sind in der Regel bestimmte Teilhandlungen mit mentalen tools verknüpft. So kann das Betreten der Auflage (Stockablegen) im Biathlon (Bewegung) mit dem Einsatz mentaler cues zur Aufmerksamkeitskontrolle verknüpft werden. Diese Teilroutine dient der Basisregulation. Die Verriegelung des Gewehres leitet die nächsten Elemente der Routine ein. Dazu ist die Konzentration auf die Atmung wichtig. Auch hier können mentale cues genutzt werden. Dieser konzeptionelle Rahmen ist einerseits eine beachtenswerte Bezugsgröße für die konkrete praktische Arbeit zur Entwicklung von Routinen. Er gibt weiterhin eine Orientierung für den methodischen Rahmen des Projektes vor. So können nun beispielsweise die Komponenten besser beschrieben werden, die Wettkampfstabilität zugrunde liegen und den Erfolg von Routinen ausmachen. Damit können aufbauend auf den konzeptionellen Rahmen auch methodische Instrumente präzisiert werden, die helfen, eine valide und einzelfallorientierte Diagnostik vorzunehmen, um individualisierte Routinen zu entwickeln und die Effektivität dieser Routinen in kritischen Situationen des Volleyballspiels zu evaluieren. Methodischer Rahmen des Projektes (Diagnoseprogramm: routine-analysis) Analysebaustein 1: Analyse vorhandener Routinen: Für die Analyse vorhandener Routinen oder vorhandener Rituale werden verschiedene Instrumente eingesetzt. Dabei können die aktuell vorhandenen Routinen durchaus auch leistungshemmend sein, etwa wenn sie mehr in Form von rigiden Ritualen zur Anwendung kommen. Weiterhin ist es wichtig, vorhandene Routinen zu evaluieren, um sie in die neuen leistungsstabilisierenden Routinen (routine-tools) einbauen zu können. Zum Einsatz kommen hier: a) ein computergestütztes Diagnoseprogramm (bzgl. der Nutzung von Routinen). Dieses Programm ist künftig auch für den Trainer wichtig und hilfreich. Es wird neu erstellt; b) Beobachtungssysteme; c) eine Ergänzung der Aussagen durch Interviews (mit Trainern und Spielerinnen). Analysebaustein 2: mentale Kapazität. Hier kommt ein validierter Test zur Erfassung der Stressregulation zum Einsatz: Dieser Test wurde im Rahmen von ProMent-V (vgl. Schack, Nitsch & Engel, 2003) entwickelt. Er ist für andere Sportarten zu erweitern. Es werden Zusatzskalen zur Ermittlung der mentalen Stabilität in kritischen Situationen und der mentalen Ansteuerung entwickelt. Weiterhin werden hier Interviews genutzt. Computergestütztes Diagnosetool: Repräsentation von Wettkampfsituationen (RWS). In diesem Diagnosetool werden Repräsentationen von Wettkampfsituationen in verschiedenen Sportarten erfasst. Dabei werden Bedingungen kritischer Ereignisse aus Sicht der Sportlerinnen und die verfügbaren Mittel zum Umgang mit kritischen Ereignissen evaluiert. Aufbauend auf solche Analysen wird es möglich, individualisierte Routinen zu entwickeln. Das computergestützte Diagnosetool RWS kommt im Kontext von Analysebaustein 1 (Routinen) zum Einsatz. Analysebaustein 3: motorische Ansteuerung: Bei diesem Analysebaustein geht es darum, die Qualität der motorischen Ansteuerung und der Technikausführung in kritischen Situationen des Volleyballspiels zu erfassen. Das soll mittels systematischer Beobachtung und in einzelnen Fällen mit einer 3D–Bewegungsanalyse geschehen. Zur validen Erfassung der motorischen Ansteuerung in kritischen Situationen des Volleyballspiels (Echtzeitanalyse) kommt ein Videobeobachtungssystem zum Einsatz. Dazu wird ein vorhandenes System (Advanced Video Phaser; AViP; Heinen & Schack, 2002) weiterentwickelt. AViP erlaubt räumlich-zeitliche Parameter der Bewegungsausführung zu erfassen. Dazu werden zwei Kameras am Spielfeldrand aufgebaut und justiert. Erste positive Erfahrungen mit diesem System konnten beim Acht-Nationen-Turnier (2002) der Volleyball-Jugend-Nationalmannschaften (Frauen) und bei weiteren Analysen bei Regionalligamannschaften in Köln gesammelt werden. Aufschlussreich dürften systematische Untersuchungen werden, die auf die genannten Analysebausteine aufbauen. Besonders interessant ist es, in einem ersten Schritt: Aussagen über Zusammenhänge zwischen mentaler Kapazität (Analysebaustein 2) und motorischer Ansteuerung (Analysebaustein 3); Zusammenhänge zwischen der Nutzung von Routinen (Analysebaustein 1) und der motorischen Ansteuerung (Analysebaustein 3) zu erfassen. Solche Untersuchungen erlauben individualisierte Strategien zur Entwicklung von Routinen abzuleiten, die in jedem Einzelfall Erfolg versprechend sind. III Geplante Ergebnisverwertung: Es sind folgende Schritte zur Implementation der Projektresultate in die Praxis des Hochleistungsvolleyballs angezielt (transferbezogene Ziele: Transferziel 1) Die A-Trainer-Ausbildung und Bundestrainer-Fortbildung der jeweiligen Sportarten wird, soweit das in Absprache mit den Verantwortlichen gelingt, systematisch um das Thema technikbezogene Routinen erweitert. Transferziel 2) Es wird eine Beratungsstelle zum „Aufbau und Einsatz von Routinen zur Verbesserung der Wettkampfstabilität in verschiedenen Sportarten“ als Internetberatung und/oder direkte Beratung (routine- consulting) eingerichtet. Transferziel 3) Es gibt eine fortlaufende Internet-Dokumentation zur Arbeit im Projekt. Hier wird darüber informiert, was Routinen sind, welche Routinen trainiert werden können, wie Routinen trainiert werden (Schritte) und wie der Stand zu diesem Thema im Projekt ist. Transferziel 4) Es wird ein Trainerhandbuch zum Aufbau von Routinen für die verschiedenen Sportartengruppen vorbereitet.