Männliches Österreich - Das popularkulturelle Phänomen Sport als Perpetuierung von Maskulinität

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Bibliographische Detailangaben
Leiter des Projekts:Marschik, Matthias (Universität Wien / IBRIS, Tel.: 0043 1/270 58 98, matthias.marschik at univie.ac.at)
Forschungseinrichtung:Universität Wien / IBRIS
Finanzierung:Österreich / Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur
Format: Projekt (SPOFOR)
Sprache:Deutsch
Projektlaufzeit:06/2000 - 01/2002
Schlagworte:
Erfassungsnummer:PR020000100451

Zusammenfassung

Ausgangsüberlegung: Österreich ist ein Land, das seine Identität und sein Selbstbewußtsein in erster Linie über den Sport und seine sportliche Repräsentation im Ausland auf- und ausgebaut hat: So wie in der Ersten Republik der Fußballsport und der Alpine Skilauf zu den wesentlichsten Bestimmungsstücken einer internen österreichischen Identität gehörten und zugleich wesentliche Exportgüter eines Österreich-Bildes darstellten, so wie der Sport während der nationalsozialistischen Ära eines der wenigen kulturellen Felder 'anti-deutscher' Resistenz bildete, so war der Sport auch wesentlich am Aufbau, der Erhaltung und Stabilisierung eines nunmehr gefestigten nationalen Bewußtseins Österreichs beteiligt. Durch seine spezifische Konstruktion erreicht der Sport ein hohes Maß an Faktizität, sind doch Siege und Ergebnisse stets meß- und vergleichbar; dennoch besteht seine besondere Bedeutung in der Erzeugung, Erhaltung oder Veränderung eines kollektiven Emotionshaushalts. "Das Gefühlspanorama eines Landes muß sich (...) in den hier stattfindenden und von seinen Menschen geleisteten Sportereignissen spiegeln (...) Wer das Wunderteam, wer Toni Sailer, Jochen Rindt und Karl Schranz versteht, der versteht auch Österreich".
Es ist sicherlich nicht zufällig, daß diese Liste durchwegs männliche Helden und Repräsentanten Österreichs beinhaltet, denn der Sport, und insbesondere der Fußballsport, der bis heute eines der letzten Refugien scheinbar ungebremster Maskulinität darstellt, bildete und bildet zweifellos männliche Identität(en) aus. Und diesen Bedeutungen des Fußballsports kommen gerade aufgrund des, trotz etlicher Mißerfolge, massenpopularen Charakters des Fußballsportes in Österreich Funktionen zu, die das Terrain des Sportes bei weitem übersteigen. Der Fußballsport darf sohin keinesfalls nur als Spiegelbild oder Mikrokosmos der Gesellschaft mißverstanden oder eingeschränkt werden, sondern muß als eigenständige, wiewohl von ökonomischen und politischen Prämissen geformte und bestimmte, populare Kultur aufgefaßt werden, der auch eigenständige Wirkungen zukommen. Hier will das geplante Projekt einsetzen, indem es anhand des konkreten Exempels der Entwicklung und des Status Quo des Frauenfußballs in Österreich die gesellschaftlichen Wirkungen und Wirkweisen des Fußballsportes herausarbeitet.
Fragestellung des Projektes: Die Projektarbeiten werden grundsätzlich von zwei Fragestellungen geleitet sein:
Erstens geht es um die Frage, wie weit der Sport und insbesondere der Fußballsport zum konkreten Nationalbewußtsein Österreichs beigetragen hat und dieses Bewußtsein in bestimmter Form geprägt hat: Es sind zwar primär politische Richtlinien und ökonomische Vorgaben, die männliche Normen und Wertmaßstäbe setzen und einfordern, aber es sind massenkulturelle Orte, an denen diese Wertigkeiten, je nachdem, verfestigt und stabilisiert oder aber in Frage gestellt und untergraben werden.
Zweitens soll untersucht werden, wie und wie weit via Sport der Stellenwert von Frauen in Österreich festgeschrieben wird: Indem gerade der Fußballsport massiv von männlichen Vorstellungen bestimmt ist und bis heute als eines der letzten Refugien von Männlichkeit bestehen blieb, ist er an der Perpetuierung solcher Maßstäbe zumindest beteiligt. Zugleich ist er in seiner gesellschaftlichen Positionierung gerade in den letzten Jahren wieder so wenig umstritten, daß widerständige Lesarten des Textes "Fußball" nur sehr peripher zu finden sind, gerade auch deshalb, weil sich feministische Strömungen (im weitesten Sinn) des Randthemas Sport bislang in Österreich kaum angenommen haben.
Beiden Fragestellungen liegt die These zugrunde, daß Sport und seine Praxen stets in engem Zusammenhang mit ökonomischen und politischen Prämissen zu sehen ist und, mehr noch, daß die konkreten Sportpraxen wesentlich von politischen und wirtschaftlichen Interessen bestimmt sind. Daraus ergibt sich die weitere Frage, wie und wie sehr politische und wirtschaftliche Kräfte den Sport instrumentalisiert haben, um Wertvorstellungen zu transportieren, die in politischen und ökonomischen Diskursen kaum mehr in dieser Direktheit formuliert werden.
Hypothesen des Projektes: Aus dem eben Gesagten lassen sich diverse Hypothesen ableiten, die im Rahmen des geplanten Projektes untersucht werden sollen:
1) Die Massen- und Popularkultur des Fußballs prägt die österreichische Identität in einer bestimmten Weise, indem sie 'maskuline' Werte und Normen von männlicher Hegemonie bis zur Dominanz des Leistungsprinzips in der Öffentlichkeit etabliert und aufrechterhält.
2) Es sind zum einen sportinhärente Parameter wie Leistungsorientierung, Siegeswillen um jeden Preis, die Überbewertung des Erfolges und die Aktivierung von 'Kampfinstinkten', die den Sportpraxen solche Werte einschreiben, zum anderen sind es aber Politik und Wirtschaft, die den Sport in dieser Weise zum Transport ihrer Prämissen instrumentalisieren.
3) Die spezifische Situation des österreichischen Frauenfußballs in Vergangenheit und Gegenwart vermag diese Entwicklung in paradigmatischer Weise vorzuführen:
3a) Die Geschichte des österreichischen Frauenfußballs zeigt, wie sehr gerade die Betonung der 'unpolitischen' Stellung und Funktion des Sportes dazu führte, daß auf diesem Gebiet männliche Werte und Normen weitgehend ungebrochen transportiert und weitergeführt werden und sich kaum widerständige Lesarten entwickeln können, weil Frauenbewegungen popularkulturelle Phänomene wie den Sport zu wenig beachten (können).
3b) Der Status Quo des österreichischen Frauenfußballs hingegen kann die 'Rückständigkeit' Österreichs gegenüber anderen (west-)europäischen Industrienationen demonstrieren: Denn der derzeitige Status des Frauenfußballs scheint in besonderer Weise über den gesellschaftlichen und kulturellen Status eines Landes Aufschluß zu geben: Je weiter eine Nation im kapitalistischen Sinne als 'entwickelt' zu bezeichnen ist desto größer ist die Zahl der fußballspielenden Frauen, desto größer sind aber auch die internationalen Erfolge.
Nachtrag aus Erhebung 2001:
Gegenstand der Untersuchung
Im Zentrum der Untersuchung steht die Geschichte und Gegenwart des Frauenfußballs in Österreich als Exempel der Perpetuierung von Maskulinität, wie sie gerade von popularkulturellen Praxen, die sich vordergründig von Politik und Ökonomie abgekoppelt konstruieren, transportiert und aufrechterhalten wird. Zur Interpretation dieses Phänomens ist es notwendig, weitere Felder in die Untersuchung einzubeziehen:
1) Politische und ökonomische Grundströmungen in Österreich
2) Wertigkeiten kollektiver Identität(en) und eines österreichischen Nationsbewußtseins
3) Sportpolitik und Sportpraxen aud anderer Sportarten
4) Status des Sports, des Fußballs und des Frauenfußballs in anderen europäischen Ländern
5) Aspekte einer 'Politik des Körpers'

Ziel des Projektes
Primäres Ziel des geplanten Projektes ist es, anhand des Frauenfußballs die kulturelle Bedeutung der österreichischen Sportpraxen nachzuzeichnen und ihre primären Wertigkeiten als Sport wie als massen- und popularkulturelles Phänomen deutlich zu machen. Darüberhinaus gilt es aber, den Fußball-'Text' in einer Weise zu lesen, die es möglich macht, die kaum hinterfragten Wertigkeiten des Sportes nicht nur aufzuzeigen und nicht nur seine große gesellschaftliche Bedeutung gerade auch in der 'gender'-Frage nachzuweisen, sondern auch andere Sportpraxen zu entwerfen, die sich vielleicht gerade an den Prämissen des Frauenfußballs orientieren können, aber auf jeden Fall eine Wirkung entfalten können, die das Terrain des Sportes bei weitem überschreiten. Dies basiert auf der Hypothese, daß politische Formulierungen von Gleichberechtigung scheitern müssen und werden, solange es solch starke popularkulturelle Phänomene eines 'unpolitischen' Sportes gibt, in denen männliche Werte fast ungebrochen weitergegeben werden.
Die kulturwissenschaftliche Zugangsweise des Projektes orientiert sich im Wesentlichen an den Modellen der Cultural Studies, wobei besonders auf die Modelle der 'Consumer Culture' Mike Featherstones und der 'Popular Culture' Grossbergs rekrutiert werden soll. Insofern wird das konkrete Phänomen 'Frauenfußball' stets in seine politischen und ökonomischen Konnotationen interpretiert und muß vor allem als Ort der 'Peripherie' und Ausdruck des 'Anderen' gesehen werden.
Wesentlich dabei ist, daß sportliche Praxen nie isoliert und auch nicht bloß als gesellschaftlicher 'Mikrokosmos' mißverstanden werden dürfen, sondern stets als eigenständige wiewohl nicht selbständige Kulturen aufgefaßt werden. Daraus ergibt sich auch der interdisziplinäre Ansatz des geplanten Projektes.

(Zwischen)Ergebnisse

Nachtrag aus Erhebung 2002: Die Geschichte und der Status Quo des Frauenfußballs in Österreich erzählen vergleichsweise wenig über die Entwicklungen und Praxen eines von Frauen betriebenen Fußballsportes, aber umsomehr über die männliche Formation Fußball, wie sie seit den 20er Jahren in Österreich zwar etlichen Veränderungen unterworfen war, jedoch in nahezu unveränderter Quantität existiert. Das Projekt "Männliches Österreich" begab sich - in drei Arbeitsschritten - auf die Spur dieser maskulinen Konstruktion, ihrer Artikulationen und Auswirkungen. In einem ersten Schritt stand die historische Genese des Frauenfußballs in Österreich im Mittelpunkt, wobei sich die dokumentierten Daten in extremer Weise als männliche Schöpfungen erwiesen. Das gilt einerseits für die (berichteten) Ereignisse selbst, die sich durchwegs als von Männern initiiert erwiesen, während die durchaus auffindbaren Spuren eines genuinen Frauenfußballs konsequent ausgeblendet wurden. Andererseits perpetuiert die (wissenschaftliche wie massenmediale) zeitgenössische Darstellung wie die retrospektive Aufarbeitung und Chronologie diese rigorose Einschränkung. Kernpunkte des zweiten Schrittes, der Erhebung des Status Quo, waren zum einen die aktuellen Repräsentationen des Frauenfußballs, zum anderen das Selbstbild, das in Interviews mit über 50 Spielerinnen und 15 ExpertInnen (TrainerInnen, FunktionärInnen, Sportlerinnen aus anderen Sportgattungen) erhoben wurde. Dabei erwies sich der mediale Umgang mit dem Thema als nach wie vor von massiver Negierung charakterisiert, während sich die - vereinzelte - Berichterstattung über frauenfußballerische Ereignisse von Ablehung, Ironie oder Spott zu einer auffälligen 'correctness' gewandelt hat, die vordergründig Akzeptanz signalisieren soll. Die Verortung der Spielerinnen selbst brachte überaus überraschende Ergebnisse. Zwar beklagten fast alle Befragten mediale Ausgrenzung, verbandliche Beschränkungen und insgesamt eine unveränderte Praxis finanzieller wie ideeller Restriktion, die die vielfach geäußerte Meinung einer evolutionären Entwicklung und allmählichen Etablierung nachhaltig in Frage stellt, doch erwies sich die Selbstcharakterisierung der Aktiven dennoch als positiv: Obwohl ein Großteil der Frauen klar und bewußt vom männlich geprägten Frauenideal abwich, zeigten sie sich mit ihrer sportlichen Aktivität wie mit ihrem Aussehen sehr zufrieden - und bieten so gerade auf dem maskulin geprägten Terrain der Fußballs mögliche Alternativen weiblicher Praxen auf. Der dritte Schritt des Projektes sollte die Männlichkeit des Fußballsportes in Österreich hinterfragen, wie sie sich im Umgang mit dem Frauenfußball manifestiert. Dabei erwies sich dieser Sport als Ort, der gerade in einer Zeit der Verunsicherung maskuliner Werte quasi als Reservat tradierter Geschlechtsidentität verteidigt wird: Die stete Betonung der spezifischen Traditionen und Mythen weist ebenso in diese Richtung wie der inadäquate Umgang mit dem Frauenfußball, dessen das Terrain des Sportes weit übersteigendes Gefährdungspotential für die Männlichkeit sehr wohl erkannt wird.