MITROPA - Konzept und Realität der Bewahrung Mitteleuropas im Sport

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Bibliographische Detailangaben
Leiter des Projekts:Haselsteiner, Horst (Institut für Donauraum und Mitteleuropa, Tel.: 0043 1/3197258)
Mitarbeiter:Marschik, Matthias; Sottopietra, Doris
Forschungseinrichtung:Institut für Donauraum und Mitteleuropa
Finanzierung:Bundesministerium
Format: Projekt (SPOFOR)
Sprache:Deutsch
Projektlaufzeit: - 04/1999
Schlagworte:
Erfassungsnummer:PR019990100436

Zusammenfassung

Das Projekt "Mitropa-Konzept" und Realität der Bewahrung Mitteleuropas im Sport" will am Beispiel des Fußballs exemplarisch nachspüren, wie sich die Vorstellung eines mitteleuropäischen Raumes abseits von Politik und Ökonomie (obwohl in steter Verbindung damit) bewahren konnte und realisieren ließ. Mögen auch politische und wirtschaftliche Beziehungen den zwischenstaatlichen Umgang bestimmen, im Bewußtsein der Individuen besitzen alltagskulturelle Praxen des Umganges miteinander mindestens ebenso große Bedeutung. Insofern möchte das Projekt, aufbauend auf die Herangehensweise und Methodik der 'Cultural Studies', versuchen, Realität und Konzepte der Idee vom 'Mitteleuropa' auf der Basis der Analyse eines alltäglichen Umganges miteinander zu untersuchen, wobei es evident ist, dass das Erleben dieser Repräsentationen sportlicher Beziehungen nur auf der Folie politischer und wirtschaftlicher Strukturen geprüft werden kann. Es geht also darum, ein komplexes Bild 'Mitteleuropas' zu entwerfen, das alltägliche Erfahrungen und politische Entscheidungen, sportliche Sensationen und ökonomische Beziehungen verbindet und die Blickrichtung auf die zeitgeschichtlichen Veränderungen der Kontexte lenkt, die das Alltagsbewusstsein bestimmen, anstatt die 'großen Texte' aus Politik, Wirtschaft und Diplomatie für 'das Ganze' anzusehen.

(Zwischen)Ergebnisse

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Ergebnisse der Untersuchung deutlich machen, dass die mitteleuropäischen Sportbeziehungen sich diffiziler zeigten als vorerst angenommen und dass sich mitunter einfach erscheinende Vorgänge als Resultat eines überaus komplexen Zusammenspiels verschiedener Einflussfaktoren darstellten, wodurch nicht immer eine Darstellung in klar modellierten Bildern möglich war. Weiters wurde auch deutlich, dass sich die Repräsentationen Mitteleuropas im Sport nicht wie erwartet zu einem Phänomen zusammenfassen ließen. Vielmehr lassen sich zwei differente Modelle Mitteleuropas nachweisen, deren eines sich auf die Konstruktion eines gemeinsamen 'Donaufußballs' bezieht, der aus den gemeinsamen Spielauffassungen der Metropolen Wien, Prag und Budapest sowie auf dem ständigen Austausch zwischen diesen Städten besteht. Dem steht der 'mitteleuropäische Fußball' gegenüber, der eher auf sportpolitischen Gemeinsamkeiten und Interessen Ungarns, der Tschechoslowakei, Österreichs, Italiens und Jugoslawiens basiert, wobei in vielen Fällen auch die Schweiz integriert wurde, während Deutschland stets außerhalb blieb. Eines der wesentlichsten Ergebnisse des Projektes besteht darin, dass klar aufgezeigt werden konnte, wie sehr die popularkulturellen Praxen des (Fußball-)Sportes von den politischen und ökonomischen Vorgaben abwichen. Auch wenn sich deutlich zeigt, dass ökonomisch-politische Einschnitte im Sportgeschehen ihre Spuren hinterließen, wie sich paradigmatisch an der ungarischen Räterepublik, dem Berchtesgadener Abkommen zwischen dem Deutschen Reich und Österreich oder der Etablierungsphase der CSSR nachzeichnen lässt, werden die Sportkontakte davon doch nur zum Teil und auch nur für eine kurze Zeitspanne bestimmt, ehe sich die stabileren, veränderungsresistenteren und im Alltagsbewusstsein verwurzelten Gemeinsamkeiten und Differenzen wiederum durchsetzen. Auf dem Weg über die popularkulturelle Ebene flossen sie dann auch wieder in politische und wirtschaftliche Beziehungen ein. Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung ist, dass zwar Politik und Wirtschaft einen relativ geringen, Sportpolitik und wirtschaftliche Interessen des Sportes aber einen um so größeren Einfluß auf die Ausgestaltung sportlicher Praxen besaßen: Politik und Sportpolitik beruhen zwar ebenso wie Ökonomie und Sportökonomie auf gemeinsamen und grenzübergreifenden Grundwerten, doch ihre konkrete Ausgestaltung kann sehr wohl sehr differente Gestalten annehmen. Prinzipien wie Leistungsoptimierung und Gewinnmaximierung führen auf verschiedenen Ebenen durchaus nicht immer zu kongruenten Resultaten, wie sich etwa an der Bedeutung des mitteleuropäischen Sportes in der Zwischenkriegszeit oder der scharfen sportlichen Rivalität Österreichs zum grössten Handelspartner und politischen Verbündeten Deutschland in der Zweiten Republik aufweisen lässt. Deutlich wurde weiters, welch große Bedeutung dem Sport für die Etablierung, Erhaltung und Veränderung lokaler oder noch mehr nationaler Identitäten zukommt. Sport ist eine exemplarische Auseinandersetzung mit dem 'Anderen', in der es einerseits keinen Mittelweg, sondern immer Sieger und Besiegte, also klare Differenzierungen gibt, und andererseits existiert der oder das 'Andere' auch immer in einer ganz konkreten Gestalt, die darauf verzichten lässt, das spezifisch Besondere der eigenen Identität bestimmen zu müssen. Was nun den spezifischen Fall Mitteleuropas betrifft, stimmt das im besonderen Masse, weil aus der Innensicht stets eher die Differenzen (zu Ungarn, der Tschechoslowakei oder Italien) gesehen wurden, während die Zuschreibung der Gemeinsamkeit sowohl im Falle des 'Donau' wie auch des 'mitteleuropäischen' Fußballs von außen kamen. Mitteleuropa erweist sich so gesehen nicht als aktiv gewählte, sondern als oktroyierte Einheit, was aber an der Relevanz des Begriffes nichts ändert. Die Innensicht war also eine durchaus komplexe und doppelte: War man sich einerseits der mitteleuropäischen Gemeinsamkeiten bezüglich der Mentalitäten, Spielstile oder auch der kollektiven Gegnerschaft etwa zum deutschen und englischen Fußball durchaus bewußt und inszenierte sie auch in diesem Sinne, zeigen die permanenten und nicht selten auch gewalttätigen Auseinandersetzungen aber doch deutlich, dass auch die Differenzen als solche wahrgenommen und dezidiert zum Ausdruck gebracht wurden. Diese Differenzen bestanden allerdings auf verschiedensten Ebenen, nicht nur beispielsweise zwischen Wiener und Prager Klubs, sondern auch zwischen Wien und der österreichischen Provinz, aber etwa auch innerhalb Wiens in den deutlich zur Schau gestellten Divergenzen zwischen den noblen und den Vorstadtklubs (Austria vs. Rapid) oder den genuin Wienerischen und den jüdischen und tschechischen Wiener Klubs. Ebenso fand aber die mitteleuropäische Ebene ihre Wieneriche Innensicht, denn mit allen Gruppierungen, zu denen die Differenzen betont wurden, bestanden doch zugleich wieder enge Verknüpfungen: Sogar zum großen Konkurrenten um die europäische Fußballhegemonie, zu England, bestanden intensive sportliche Verknüpfungen, die weit über die generelle Vorliebe für den Fußballsport oder fundamentale Gemeinsamkeiten wie etwa die extrem männliche Konnotierung des Fußballsportes hinausgingen, betonte doch etwa der überaus beliebte österreichische Teamchef Hugo Meisl, zugleich Wegbereiter der meisten mitteleuropäischen Fußballkonkurrenzen, zugleich seine Vorliebe für das schottische System des Spieles und machte aus einer grundsätzlichen Ablehnung des genuinen Donau-Fußballs mit seinem Kurzpassspiel kein Hehl. Zudem konnten selbst Experten kaum den grundsätzlichen Unterschied zwischen 'Wiener Schule' und dem deutschen Modell des 'Schalker Kreisels' definieren. Zum anderen war aber auch die 'Wiener Schule' des Fußballs ein solches Konglomerat: Das betraf nicht nur den Versuch Meisls, schottische Elemente einzubauen, sondern auch in seiner engen Beziehung zum Stil des 'Erbfeindes' Ungarn, dessen Legionäre anfangs der zwanziger Jahre die Wiener erst das Kurzpassspiel gelehrt hatten, und auch zum böhmischen System der 'ulicka', des Lochpasses, der geradezu als Vorläufer der Wiener Schule genannt werden muss, abgesehen davon, dass etwa das 'Wunderteam' zur Hälfte aus Spielern bestand, die böhmische Vorfahren besaßen oder selbst noch in Böhmen geboren waren. So existierte gerade in Wien ein Fußballstil, der tatsächlich als Ergebnis eines 'trilateralen Kulturkarussells' (Michael John) bezeichnet werden muss, wie auf der anderen Seite aber fast jedes Spiel gegen ungarische oder tschechische und vor allem gegen italienische Teams zum potentiellen Konfliktherd für ernste Ausschreitungen auf dem Rasen wie auf den Zuschauerrängen wurde. Es existierte also ein mitteleuropäisches und sogar ein europäisches Amalgam aus sportlichen und konkret fußballerischen Gemeinsamkeiten, die doch zugleich Differenzen waren. Doch anders als in der großen Politik und in der nationalen Wirtschaft, wo die Lesarten der gesellschaftlichen Texte weitgehend vorgegeben oder oktroyiert waren, öffnete der Sport Freiräume, seine im Grunde simplen Praxen, die aus einem etwa zweistündigen Wettkampf zweier Teams bestanden, in dieser oder jener Weise zu lesen, zu interpretieren und in das übrige Leben überzuführen. Die Bedeutung als Phänomen populärer Kultur erhält der Fußballsport erst durch die Art und Weisen seines Gebrauches. Er kann so als paradigmatisches Exempel eines Konsumgutes gelten, das im Sinne der Cultural Studies in seiner Konsumption unterschiedliche Lesearten offenlässt. Nicht zuletzt können die Ergebnisse des Projektes auch vorweisen, wie sehr sich popularkulturelle Praxen tatsächlich der Frage nach Essenzialismus und Konstruktivismus entziehen. Denn so sehr sich davon ausgehen lässt, dass der Sport Realitäten ausbildet (von der Prägung des Stadtbildes bis zum simplen Faktum des Spieles selbst), so sehr wird doch gerade am Beispiel des mitteleuropäischen Fußballs deutlich, wie sehr der Fußballsport als Massenphänomen auf Konstruktionen und Zuschreibungen beruhte und beruht. Der mitteleuropäische Fußball war ein System, dessen Gemeinsamkeiten wesentlich mehr als auf tatsächlichen auf konstruierten Mentalitäten, auf nachträglichen Konstruktionen und Inszenierungen und auf Vereinfachungen beruhte: so muss etwa der Spielstil Rapids, eines Vereines, der seit vielen Jahren geradezu als Inkarnation des Wiener Fußballs gelten kann, mit seiner Ausrichtung auf Härte, Einsatz und Siegeswillen im Grunde als antiwienerisch beschrieben werden. Doch erscheint es letztendlich als unwesentlich, wie weit der mitteleuropäische Fußball auf Realität, wie weit er auf nachträglicher Konstruktion beruht, denn das Modell der Artikulationen macht deutlich, dass vielmehr der Gebrauch von Bedeutung ist sowie die Frage, wer zu welcher Zeit und an welchem Ort welchen Gebrauch von den differenten im Fußballsport angelegten Bedeutungen macht und dass es primär von Interesse ist, die jeweiligen Beziehungen zu anderen popularkulturellen, politischen und wirtschaftlichen Feldern zu untersuchen. Dies wurde im vorliegenden Projekt durch die Gegenüberstellung politischer und ökonomischer Fakten mit dem Feld des Fußballs dargestellt. Weitere Ergebnisse des Projektes seien hier nur kursorisch angeführt: So hat sich der mitteleuropäische Sport zugleich als Ausdruck nationaler österreichischer Identität erwiesen, wie etwa am Wechsel des 'Erbfeindes' von Ungarn nach Deutschland zu zeigen ist. Der Mitropacup und die ständigen Begegnungen zwischen Österreich, Ungarn und der Tschechoslowakei waren unhinterfragte Fortführungen eines mächtigen mitteleuropäischen Reiches. Sie perpetuierten die Auseinandersetzungen seiner Partner ebenso wie deren Stärke, die sich nur gemeinsam bewahren ließ. Gerade am Beispiel Österreichs, dem ja kaum politische Überlebensfähigkeit zugesprochen wurde, lässt sich zeigen, wie sehr im Fußballsport Selbstbewusstsein und Siegeswillen demonstriert werden konnte und so die prekäre politische und wirtschaftliche Situation durch sportliche Erfolge substituiert wurde. Freilich geschah dies in einer 'typisch' österreichischen Art und Weise, man denke nur an den 'körperlosen' Spielstil oder an das Faktum, dass die grössten Siege oft Niederlagen waren. Gänzlich anders gelagert war da die spätestens ab der Weltmeisterschaft 1954 existierende neue 'Erbfeindschaft' zum politisch wie wirtschaftlich überlegenen Deutschland, die nur von einer Fußballnation entwickelt werden konnte, die sich ihrer gewiss sein konnte. Weiters hat das Projekt auch bestätigt, wie sehr das Konzept Mitteleuropas im Grunde ein metropolitanes Modell war, das seine spezifische Bedeutung nur in den Zentren Wien, Prag und Budapest entfaltete. Vorgeführt wurde auch, dass der Fußballsport seine popularkulturelle Bedeutung gerade aus der Tatsache zog und noch immer zieht, dass er ein durchweg männliches Phänomen und immer mehr eines der letzten Refugien von Männlichkeit darstellt. Es wäre allerdings falsch, ihm aus diesem Grunde nur beschränkte Wirkkraft zuzubilligen, vielmehr muss er als Versuch gelesen werden, männliche Dominanz via Popularkultur zu perpetuieren. Dies wird deutlich vor allem an der Produktion von Stars und Helden, wie sie im gesamten Sportgeschehen unabdingbar sind, damit aber zugleich generelle gesellschaftliche Wertmaßstäbe setzen. Insgesamt kann formuliert werden, dass im Sport die Gemeinsamkeiten wie die Differenzen Mitteleuropas exemplarisch vorgeführt werden. Das wird gerade in der Analyse der jüngsten Vergangenheit deutlich, wo nach dem Zusammenbruch des 'Ostblocks' neuerlich in ganz bestimmten Arten an tradierte Praxen Mitteleuropas angeknüpft wird und dabei Gemeinsamkeiten beschworen und zum Teil auch konstruiert werden, wo es aber im Grunde um den Ausdruck hegemonialer Strukturen geht: Es ist die österreichische (Sport-)Politik, die sich hier ihre Partner wählt.