Auswirkungen von Beweglichkeitstraining auf die maximale Bewegungsreichweite, die Dehnungsspannung, biochemische und neurophyisologische Parameter.

Gespeichert in:
Bibliographische Detailangaben
Leiter des Projekts:Kindermann, Wilfried (Universität Saarbrücken / Institut für Sport- und Präventivmedizin, Tel.: 0681 3023750); Schmidtbleicher, Dietmar
Mitarbeiter:Schönthaler, Stefan R.; Ott, Henning; Ohlendorf, Kirsten
Forschungseinrichtung:Universität Saarbrücken / Institut für Sport- und Präventivmedizin
Finanzierung:Bundesinstitut für Sportwissenschaft (Aktenzeichen: 070508/96) ; Eigenfinanzierung
Format: Projekt (SPOFOR)
Sprache:Deutsch
Projektlaufzeit:01/1996 - 12/1996
Schlagworte:
Erfassungsnummer:PR019960105412

Zusammenfassung

Forschungsproblem:
Auf dem Forschungsgebiet der Beweglichkeit wurden hauptsächlich die Veränderung der maximalen Bewegungsreichweite aufgrund unterschiedlicher Dehnungsmaßnahmen untersucht. Hierbei kann eine Vergrößerung der maximalen Bewegungsreichweite als gesichert angenommen werden. Was jedoch die Effektivität verschiedener Dehnmethoden angeht, liegen keine einheitlichen Ergebnisse vor.
Die wenigen Untersuchungen zu muskulären Spannungen (Dehnungsspannung) ergeben ein noch widersprüchlicheres Bild. Was bisher nicht genügend Berücksichtigung fand, ist die Frage nach der Ursache der oben genannten Veränderungen. Hierzu bieten sowohl biochemische als auch neurophysiologische Verfahren (CK, H-Reflex) einen Forschungsansatz, der in einer interdisziplinären Zusammenarbeit des Sportmedizinischen Instituts Saarbrücken und des Sportwissenschaftlichen Instituts Frankfurt angegangen wird.
Methodisches Vorgehen:
1. In einer vierwöchigen Längsschnittsstudie sollen die Effektivität der statischen, postisometrischen und dynamischen Dehnmethode bezüglich der Dehnungsspannung und der maximalen Bewegungsreichweite untersucht werden.
2. In zwei Querschnittsstudien sollen die Ursachen für die Veränderung der maximalen Bewegungsreichweite analysiert werden.
Zu:
(1) Hierbei führten 36 Versuchspersonen ein vierwöchiges Beweglichkeitstraining mit 16 Dehneinheiten an der ischiocruralen Muskulatur durch, wobei die in Vorstudien erarbeitete strenge Standardisierung beibehalten wurde.
(2)Die erste Querschnittsstudie versucht, die Auswirkungen des Beweglichkeitstrainings auf muskuläre Strukturen anhand biochemischer Parameter zu belegen. Hierbei führt die Treatmentgruppe ein einfach seriell passiv statisches Beweglichkeitstraining durch. Die biochemischen Parameter werden zu verschiedenen Zeitpunkten geprüft: sowohl vor, während und nach der Dehnung als auch nach 24 sowie 48 Stunden. Zusätzlich wird zu verschiedenen Zeitpunkten die maximale Bewegungsreichweite ermittelt. Die zweite Querschnittsstudie versucht, über die Veränderung der H-Reflex-Aktivität (gemessen am M. gastrocnemius) einen Erklärungsansatz für die Veränderung der maximalen Bewegungsreichweite aufgrund neurophysiologischer Adaptation zu finden.

(Zwischen)Ergebnisse

Untersucht wurden die Auswirkungen eines vierwöchigen Beweglichkeitstrainings (jeder Proband absolvierte dabei sechzehn Dehneinheiten) auf die maximale Bewegungsreichweite und die Dehnungsspannung der ischiocruralen Muskulatur des linken Beines. Dafür wurden 36 Studenten in drei Treatmentgruppen (statische, postisometrische und dynamische Dehnmethode) und eine Kontrollgruppe eingeteilt. Zur Standardisierung des Beweglichkeitstrainings wurde der Treatmentablauf über Tonband vorgegeben und von fünf Untersuchungsleitern gleichbleibend durchgeführt. Die Meßwerte wurden in einem Vortest und einem Nachtest mittels eines isokinetischen Meßsystems festgehalten, wobei alle Versuchspersonen so fixiert waren, daß sowohl eine Hüftausweichbewegung als auch eine Beinbeugung des zu messenden Beines ausgeschlossen waren. Bei der Untersuchung wurde für alle Treatmentgruppen eine signifikante bzw. sehr signifikante Vergrößerung der maximalen Bewegungsreichweite festgestellt. Diese lag für die statische Dehnmethode im Mittel bei 22,00ø, für die postisometrische bei 20,10ø und für die dynamische Dehnmethode bei 22,85ø. Keine signifikante Veränderung wurde bei der Kontrollgruppe festgestellt (0,78ø). Zwischen den drei Dehnmethoden wurde kein Unterschied festgestellt. Auch der Vergleich zwischen Männern und Frauen bezüglich der maximalen Bewegungsreichweite zeigte sowohl im Vortest als auch im Nachtest keinen Unterschied. Für die Praxis kann daraus geschlossen werden, daß Intensität und Häufigkeit eines Beweglichkeitstrainings von größerer Bedeutung sind als die Wahl der Dehnmethode. Die Dehnungsspannung nahm von Vortest zu Nachtest in allen Treatmentgruppen zwar ab (statische Dehnmethode = 7,66 Nm, postisometrische Dehnmethode = 3,36 Nm, dynamische Dehnmethode = 0,81 Nm), für eine signifikante Abnahme waren die Veränderungen jedoch zu gering. Die Kontrollguppe zeigte mit 1,24 Nm einen geringen nicht signifikanten Zuwachs. Nur zwischen Männern und Frauen gab es im Vortest einen sehr signifikanten Unterschied von 20,20 Nm. Es ist anzunehmen, daß ein Beweglichkeitstraining auf den Parameter Dehnungsspannung keine Auswirkungen hat. Nachtrag aus BISp-Jahrbuch 1997: Die Ergebnisse (1) (neurophysiologische Variablen) zeigen, daß es bereits über die Treatmentserien zu einer Vergrößerung der BRmax kommt. Diesbezüglich zeichnet sich eine Analogie zu den Ergebnissen von MOORE/HUTTON (1980) ab. Dieser Effekt könnte, da er auch am isolierten Muskel feststellbar ist, auf die hypothetische Annahme eines "Dehnungsrückstandes", bedingt durch die plastischen Eigenschaften des Muskel-Sehnen-Apparates, zurückzuführen sein. Bezüglich der H-Reflexamplitude zeigte sich im Mittel für die Gesamtgruppe eine Abnahme der H-Reflex-Amplitude nach Dehnung des M. gastrocnemius. Eine statische Dehnung müßte jedoch, bedingt durch die Längenänderung des Muskels, über die Ia-Afferenzen einen Anstieg der Amplitude bewirken. Dieser Effekt ergibt sich jedoch nicht. Es wird gemutmaßt, daß die Reduktion der H-Reflex-Amplituden auf eine erhöhte "Feuerungsrate" der Ib-Afferenzen zurückzuführen ist, was einer inhibitorischen Wirkung auf den a-Motoneuronenpool gleichkommen würde (vgl. ETNYRE/ABRAHAM 1986; GUISSARD/ DUCHATEAU/HAINAUT 1988; MARK/COQUERY/PAILLARD 1968). Trotz im Mittel abfallender H-Reflex-Amplituden nach Dehnmaßnahmen zeigte sich bei den Probanden eine hohe interindividuelle Variabilität. Bereits in anderen Studien (KÜHNEMEYER/SCHMIDTBLEICHER 1997) wurde auf diese hohe Variabilität verwiesen. Die Ergebnisse (2) (biochemische Variablen) der vorliegenden Untersuchung lassen folgende Schlußfolgerung zu: Ein Beweglichkeitstraining, das ausreichend intensiv ist, um eine Veränderung der BRmax zu erzielen, bewirkt weder durch CK erfaßbare Mikroverletzungen, noch über Harnstoff und Harnsäure meßbare Änderungen des Eiweißstoffwechsels. Demnach müßte die Vergrößerung der Bewegungsreichweite durch andere Faktoren gewährleistet werden. Möglicherweise haben sich nach 24 bzw. 48 Stunden die biochemischen Parameter wieder auf das Ausgangsniveau einreguliert. Hinsichtlich der CK-Aktivität sprechen dagegen jedoch die Ergebnisse vieler Studien, die diesen Parameter nach einer sportlichen Belastung im Ausdauer- bzw. Kraftsportbereich untersuchten und die maximale Erhöhung der CK-Aktivität frühestens nach 18 bis 24 Stunden belegen (NOAKES 1987). Möglicherweise ist die Muskelmasse einer isoliert behandelten Muskelgruppe (Mm. ischiocrurales) auch zu gering, um im peripheren Blut Veränderungen bewirken zu können. Aber auch diese Möglichkeit scheint nicht zuzutreffen, da schon geringfügige Verletzungen wie Einstiche bei intramuskulären Injektionen eine CK-Erhöhung verursachen. Ein Kritikpunkt ist die individuelle Ansteuerung der Bewegungsreichweite sowohl bei der Messung der BRmax, als auch beim Treatment. Trotz ständiger Motivation zu möglichst intensiven Dehnmaßnahmen muß die subjektive Einschätzung von Dehnreiz und Dehnschmerz als Faktor angesehen werden, der sich (noch) einer geeigneten Standardisierung entzieht.