Die Vorlesung – ein (brauchbarer) hochschuldidaktischer Saurier?

Gespeichert in:
Bibliographische Detailangaben
Autor:Friedrich, Georg
Erschienen in:Ze-phir
Veröffentlicht:5 (1998), 2 (Hochschuldidaktik), S. 19-23, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Zeitschriftenartikel
Medienart: Gedruckte Ressource Elektronische Ressource (online)
Sprache:Deutsch
ISSN:1438-4132, 1617-4895
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU201011009072
Quelle:BISp

Abstract

Verf. stellt die Frage, ob die Vorlesung als eine sehr alte und traditionsbeladene akademische Lehrform heute nicht einen Anachronismus darstellt in einer Zeit, in der Kommunikation, kooperatives Problemlösen und Teamarbeit an erster Stelle professioneller Wissensvermittlung firmieren. Die Etymologie weist eindeutig auf die Entstehungszusammenhänge der Vermittlungsform „Vorlesung“ hin. Zum Einen wird hier inszeniert, was nur noch den kulturtechnisch Minderbemittelten zuteil wird: es wird vorgelesen. Zielgruppe bilden jene, die noch nicht selbst in der Lage sind, sich die wissenssteigernde literarische „Software“ anzueignen. Zum Anderen hatte das Vorlesen in der Geschichte der akademischen Lehre seinen Stellenwert. Vorlesungen fanden in den Gründerzeiten der Universität aus Mangel an Zugang zur Literatur zumeist in den Wohnungen der Professoren in kleinstem Kreise statt. Durchblättert man die aktuellen Vorlesungsverzeichnisse, so fällt auf, dass die Vorlesung keinesfalls „out“ ist. Aufgeführt an oberster Stelle, scheint sie ein Bollwerk zu bilden gegen alles Anrennen interaktivierender hochschuldidaktischer Reformbestrebungen. Sie ist weitgehend unumstritten und wird allenfalls gelegentlich durch das Zulassen von Nachfragen „aufgeweicht“. Der Vorlesung werden verschiedenste Funktionen beigemessen. So werden unterschieden: 1. Die Überblicksvorlesung/Einführungsvorlesung – Darstellung eines Lehrgebietes, dessen Ziel-, Aufgaben- und Gliederungsspezifika und der Beziehungen zu weiteren Fachgebieten. 2. Die Grundlagenvorlesung – Vermittlung von Methoden und Inhalten eines geschlossenen Lehrgebiets. 3. Die Problemvorlesung – Vermittlung von Problembearbeitungsstrategien. 4. Die Komplexvorlesung – Korrelierung verschiedener Erkenntnisse aus unterschiedlichen Fachdisziplinen. Verf. zufolge sind drei Gründe dafür verantwortlich, dass die Vorlesung am akademischen Leben erhalten wurde: 1. Traditionalistische Gründe: Die Vorlesung bildet ein Identitätsmerkmal akademischer Welt. Die Lehre ex cathedra stellt gleichzeitig Aufgabe und Privileg im Rahmen einer tradierten akademischen Ordnung dar. Dabei gehört die Vorlesung zu einem institutionalisierten Bestandteil einer eigenen universitären Sprache der Wissensvermittlung. 2. Ökonomische Gründe: Die aktuelle Bedeutung innerhalb der Lehre erhält die Vorlesung auf der Grundlage bildungsökonomischer Bedingungen. Unter dem Eindruck eines kaum mehr zu bewältigenden Massenbetriebs in den meisten Fächern bildet die Vorlesung eine besonders zweckmäßige Form zur Sicherstellung des Lehrangebots. Allerdings werden oft Einführungsveranstaltungen als Vorlesungen durchgeführt, obwohl gerade hier ein möglichst enger Kontakt zwischen Studierenden und Lehrenden gefragt wäre, um der Ausbildung einen wirklich orientierenden Charakter zu geben. 3. Psychohygienische Gründe: Die Möglichkeit, (quasi ungestört) die eigenen Gedanken und Ideen dem geneigten Publikum zu entfalten, übt einen besonderen Reiz auf die Vorlesenden aus. Aber die Vorlesung stellt auch eine didaktische Herausforderung dar. Schon Humboldt sah in der Vorlesung ein Mittel, Wissenschaft so darzustellen, dass die Hörer schrittweise an die Erkenntnisse einer Disziplin herangeführt werden. Dabei sollten die Inhalte in der Weise didaktisch aufbereitet sein, dass die Hörer in die Lage versetzt werden, den Vorgang des Erkennens und Begründens nachzuvollziehen („Forschung verlebendigen“). Mit der Konzeption der Vorlesung ist also die Frage nach dem Bildungsverständnis angesprochen. Eigenständiges Erkennen sollte angeregt werden insbesondere durch die ergänzende Interaktion zwischen Lehrenden und Studierenden. Gespräch und Diskussion sind dazu im Rahmen der Vorlesung einzuplanen. Verfahrensweisen und Hinweise, wie auch Vorlesungen kurzweilig, interessant und motivierend gestaltet werden können, sind heute jedem Lehrenden problemlos zugänglich. Letztlich bleibt es jedoch den Hochschullehrenden selbst überlassen, Hilfestellungen zu nutzen und Gestaltungsprinzipien zu beherzigen. So ist der Medieneinsatz allein noch kein Garant für einen überzeugenden und lehrreichen Vortrag. Auch wird die Vorlesung als sehr alte hochschuldidaktische Form mit den kommenden Entwicklungen einer zunehmend virtualisierten Lehre (Lehre via Hochschul-IntraNet) konfrontiert sein. Gerade hier werden Vorlesungsqualitäten vermehrt gefragt sein. Das Vorlesen allein wird hierbei nicht mehr ausreichen. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)