Nicht lehren – sondern Lernen ermöglichen: Von der Hochschuldidaktik zur Erwachsenenbildung

Gespeichert in:
Bibliographische Detailangaben
Autor:Leites, Kordula
Erschienen in:Ze-phir
Veröffentlicht:5 (1998), 2 (Hochschuldidaktik), S. 14-17, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Zeitschriftenartikel
Medienart: Gedruckte Ressource Elektronische Ressource (online)
Sprache:Deutsch
ISSN:1438-4132, 1617-4895
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU201011009070
Quelle:BISp

Abstract

Der Titel einer Lehrveranstaltung, ihre Ankündigung im Vorlesungsverzeichnis, ihr Ort und ihre Zeit, die zugelassene TeilnehmerInnenzahl, die Teilnahmevoraussetzungen, Literaturliste, der Themenplan, die Arbeitsstruktur und die Scheinanforderungen implizieren genuin hochschuldidaktische Entscheidungen, denn sie stecken den Rahmen ab, in dem ein bestimmter Lehr-Lern-Prozess stattfinden soll. Bis zu diesem Punkt besitzen die HochschullehrerInnen die alleinige Definitionsmacht gegenüber den Studierenden und können diese bewusst zur Steuerung deren Nachfrageverhaltens nutzen. Die erste Sitzung einer Lehrveranstaltung kann dann als hochschuldidaktische Krisensituation bezeichnet werden: Eine unterschiedlich große Anzahl heterogener, weitgehend einander fremder Menschen trifft mit unterschiedlichen, unbekannten Motiven, Interessen, Vorerfahrungen, Befürchtungen und Hoffnungen aufeinander. Alle Beteiligten müssen sich möglichst schnell in der neuen Situation zurechtfinden, da in einem vorgegebenen (knappen) Zeitraum vorgegebene (hochgesteckte) Ziele zu erreichen sind. Die Studierenden sehen sich als Abhängige, die Lehrenden als Sachwalter/innen einer sportwissenschaftlichen Disziplin, die sie den Studierenden ,vermitteln’ sollen. Ob dieser kritische Moment zu einem fruchtbaren Lehr-Lern-Prozess oder zu einem quälenden Themendurchlauf führt, liegt zunächst in der Verantwortung der Lehrenden und fordert deren hochschuldidaktische Kompetenzen heraus. Zwar müssen die Studierenden insgesamt als Mit-Handelnde in der Vorlesung wie in der Übung oder im Seminar begriffen werden, aber bei dieser ersten Begegnung sind sie nur Reagierende auf die Vorgaben der Lehrenden. Form und Inhalt dieser studentischen Reaktionen beziehen sich dabei direkt auf die Lehr-Inszenierung. Ob die Veranstaltung mit einem einführenden Fachmonolog, mit der Vorlage einer Themen-Termin-Liste oder mit einer Vorstellungsrunde beginnt, signalisiert den Studierenden vor allem, welche Beteiligungsmöglichkeiten für sie vorgesehen sind. Das Verhältnis der Lehrenden zur Gruppe und die gewünschte Kommunikationsstruktur wird durch eine Frontalsituation, einen Kreis oder eine freie Verteilung im Raum hergestellt. Ob das Veranstaltungsthema in Unterthemen oder in Problemstellungen aufgeteilt wird, signalisiert die erwünschte Aneignungsweise als rezeptiv oder produktiv/konstruktiv. Ob der Leistungsnachweis in Form einer Klausur, eines Gesprächs, eines Referats, der Gestaltung einer Seminarsitzung, eines Modells, eines Experiments oder anderem erbracht werden soll, signalisiert den Studierenden das Wissenschaftsverständnis der Lehrenden. Auf die Kombination all dieser Signale wird individuell und subjektiv begründet reagiert, womit die Definitionsmacht der Lehrenden endet. Wollen sie sich ihrerseits nicht unvermittelt einem für sie nicht nachvollziehbaren Verhalten ausgeliefert sehen, müssen sie in einen Verständigungsprozess mit den Studierenden eintreten. Hochschuldidaktische Kompetenz erweist sich hier weniger in der Anwendung von Unterrichtstechnologien als in kommunikativen und sozialen Fähigkeiten. Trotz vielfacher Klagen über negative Erfahrungen in und mit Lehrveranstaltungen bietet die etablierte Hochschuldidaktik wenig mehr als eine generelle Kritik der Studienbedingungen und eine Fülle alternativer Veranstaltungsmodelle. Beides hilft nicht in der alltäglichen Gestaltung der Lehre. Die Erwachsenenbildung bietet hier einen fortgeschrittenen Diskurs an, der in seiner Fokussierung auf die (Selbst-)Bildungsprozesse der erwachsenen Menschen über die klassische Hochschuldidaktik hinausweist. Ausgehend vom Menschenbild des Konstruktivismus entwickelt sie eine ,Ermöglichungs’-Didaktik, deren organisierendes Zentrum der/die erwachsene Lernende ist. Die Lehraufgabe besteht in diesem Kontext nicht darin, Wissen selbst zu präsentieren, sondern die Aneignung von Wissen zu ermöglichen. Dazu gehört zwar auch die Bereitstellung von Wissen in Form des Lehrvortrags, wichtiger jedoch ist es, Wissensgebiete durch Strukturierungen zugänglich zu machen und verschiedene Aneignungsformen zuzulassen. Was dann tatsächlich wie angeeignet wird, bleibt der Entscheidung der Lernenden überlassen. Folgt man diesem konstruktivistisch inspirierten Modell von Erwachsenenbildungsprozessen, muss hochschuldidaktische Qualifizierung neu definiert werden. Im Zentrum stünde die Ausbildung flexibel und situativ anwendbarer kommunikativer und sozialer Kompetenzen. Die Reflexion der persönlichen Wünsche, Möglichkeiten und Ressourcen würde zur Grundlage der bewussten Entwicklung eines persönlichen Lehrstils, eines individuellen Angebots, das den Studierenden auch in dieser Subjektivität präsentiert wird. Das bestehende methodisch- didaktische Repertoire wäre daraufhin auszuwerten, inwieweit es individuell ‚passt’ und ,gelebt’ werden kann, eigene Methoden. könnten entwickelt werden. Die Zielgruppenorientierung würde sich weniger in der Kenntnis demographischer Daten erschöpfen, als vielmehr kontinuierlich in der direkten Kommunikation hergestellt und fester Bestandteil der Veranstaltungsgestaltung werden. Ein Großteil der Handlungsmöglichkeiten würde sich in der Praxis herausbilden, die Durchführung von Lehrveranstaltungen würde fester Bestandteil im Qualifikationsprozess des wissenschaftlichen Nachwuchses – ganz im Sinne der ,Einheit von Forschung und Lehre’. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)