Bosman-Urteil und Nachwuchsförderung : Auswirkungen der Veränderung von Ausländerklauseln und Transferregelungen auf die Sportspiele

Gespeichert in:
Bibliographische Detailangaben
Autor:Riedl, Lars; Cachay, Klaus
Veröffentlicht:Schorndorf: Hofmann (Verlag), 2002, 334 S., Lit.
Herausgeber:Bundesinstitut für Sportwissenschaft
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Monografie
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
ISBN:3778009117
Schriftenreihe:Schriftenreihe des Bundesinstituts für Sportwissenschaft, Band 111
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200305001179
Quelle:BISp

Abstract

Am 15.12.1995 traf der Europäische Gerichtshof mit seiner Urteilsverkündung in der Rechtssache des belgischen Fußballprofis Jean-Marc Bosman eine "epochemachende Entscheidung", die eine radikale Veränderung der Strukturen des bezahlten Sports auslöste. Durch diesen Urteilsspruch wurden nämlich zwei zentrale Regelungen des Berufsfußballs für den Bereich der EU wegen der Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht mit sofortiger Wirkung für unanwendbar erklärt. Betroffen waren erstens die Transferregelungen, nach denen ein Berufsfußballspieler auch nach Ablauf seines Arbeitsvertrages nur dann bei einem neuen Verein beschäftigt werden durfte, wenn dieser dem bisherigen Verein eine Transfersumme zahlte. Zweitens wurden mit Blick auf die EU-Angehörigen die sog. Ausländerklauseln für ungültig erklärt. Diesen Klauseln zufolge durfte in den von den jeweiligen Verbänden organisierten nationalen Spitzenligen innerhalb einer Mannschaft nur eine bestimmte Höchstzahl an Staatsangehörigen anderer Nationen eingesetzt werden. Zentraler Bezugspunkt des "Bosman-Urteils" ist der Artikel 48 des EG-Vertrags, den der Gerichtshof "als ein Grundrecht angewandt hat, das die Freizügigkeit des Unionsbürgers nicht nur durch ein unmittelbares Diskriminierungsverbot, sondern ebenso durch ein Verbot nichtdiskriminierender Freizügigkeitsbeschränkungen schützt." Demnach können EU-Angehörige ihren Aufenthaltsort und Arbeitsplatz innerhalb der Staatengemeinschaft frei wählen und dürfen dabei gegenüber den jeweiligen Staatsangehörigen nicht benachteiligt werden. Da nach Ansicht der Richter die Tätigkeit im bezahlten Sport einer Teilnahme am Wirtschaftsleben gleichkommt, denn es werden Leistungen gegen Entgelt erbracht, musste der Artikel 48 des EG-Vertrags zwangsläufig zur Anwendung kommen. Die Kritik der Verbände am "Bosman-Urteil", das nicht nur auf den Fußball, sondern für alle Sportarten gilt, in denen Ausländer- und Transferregeln angewandt werden, bezog sich vor allem auf folgende Punkte: 1. Die Bundesligen werden durch den massiven Einsatz von ausländischen Spielern ihre nationale Identität verlieren, denn es könne zu der paradoxen Situation kommen, dass eine Mannschaft Deutscher Meister werde, in der kaum noch deutsche Spieler vertreten seien. 2. Durch das Wegfallen der Transfersummen werde gerade den kleineren Vereinen eine wichtige Einnahmequelle verloren gehen; stattdessen werden die Spielergehälter explosionsartig ansteigen und nur noch für größere Vereine bezahlbar sein. 3. Durch die neuen Möglichkeiten der Vereine, nahezu unbegrenzt weltweit Spieler verpflichten zu können, sei zu befürchten, dass aus den Bundesligen deutsche Spieler zunehmend verdrängt und insbesondere Nachwuchsspieler keine Chance auf Spielpraxis mehr haben werden. 4. Die neuen globalen Rekrutierungsmöglichkeiten der Vereine implizierten die Gefahr, das die Vereine auf eine eigene Nachwuchsförderung verzichten werden, denn wozu sollten sie mühsam und langfristig junge Talente ausbilden, wenn sie kurzfristig fertige, leistungsstarke Spieler aus dem Ausland verpflichten können. 5. Durch die wegfallenden Transfersummen fielen auch die ökonomischen Anreize zur Spielerausbildung weg, so dass sich die Investitionen nicht mehr rentierten. 6. Wenn deutsche Spieler kaum noch Spielpraxis in den Bundesligen bekämen, dann werde es den Nationalmannschaften an entsprechend leistungsstarken Spielern fehlen, was zur Konsequenz hätte, dass man sich letztlich auch aus der internationalen Leistungsspitze verabschieden müsste. Die Untersuchung der durch das Bosman-Urteil ausgelösten Entwicklung und ihrer Folgen für das Sportsystem ist der Gegenstand der vorliegenden Studie. Dabei werden die Folgen für die Nachwuchsförderung in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses gestellt. Die forschungsleitende, übergeordnete Fragestellung der Studie lautet: Ermöglicht das deutsche Sportsystem nach dem "Bosman-Urteil" noch die Produktion von genügend (Nachwuchs-)Spielern, die den nationalen Sport in der internationalen Spitze vertreten können? Die dargestellten Strategien und Ansätze zur Lösung des durch das "Bosman-Urteil" ausgelösten Problems erscheinen zwar alle ein Stück weit geeignet, die Folgen dieses Urteils zu kompensieren und für eine verbesserte Nachwuchsförderung zu sorgen; keine dieser Maßnahmen ist jedoch alleine in der Lage, eine grundlegende Veränderung der Situation zu erreichen. Alle haben sie jedoch zur Voraussetzung, dass die einzelnen Akteure, Vereine, Ligen und Verbände die Ernsthaftigkeit der Situation erkennen und ihre an Partialinteressen orientierten Strategien zugunsten einer gesamtsystemischen Strategie aufgeben. Schiffer