Einwilligungsschranken und Rechtsgutsvertauschung am Beispiel des Fremddopings im Sport

Gespeichert in:
Bibliographische Detailangaben
Autor:Krack, Ralf
Erschienen in:Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik
Veröffentlicht:6 (2011), 7, S. 583-601, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Zeitschriftenartikel
Medienart: Gedruckte Ressource Elektronische Ressource (online)
Sprache:Deutsch
ISSN:1863-6470
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU201701000359
Quelle:BISp

Abstract

Das konsentierte Fremddoping, also die nach den Regeln der Sportverbände unzulässige Beibringung leistungsfördernder Substanzen durch einen Dritten (etwa durch den Trainer oder den betreuenden Sportarzt), wirft eine Reihe strafrechtsdogmatischer Probleme auf: Eine strafbare Körperverletzung kommt nur dann in Betracht, wenn das Verhalten des Dritten sich als Fremdverletzung und nicht lediglich als Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bzw. -schädigung darstellt. Die Abgrenzung von strafloser Selbstverletzung und möglicherweise strafbarer Fremdverletzung ist an der Tatherrschaft über den Körperverletzungsvorgang auszurichten; dem die Dopingmittel beibringenden Arzt oder Trainer kommt die Herrschaft über den entscheidenden Moment der Beibringung des Dopingstoffes zu. Treten infolge einer konsentierten Beibringung von Dopingstoffen Gesundheitsschäden ein, die vom Sportler nicht in seine Einwilligung aufgenommen wurden, so kommt mangels hierauf bezogener Einwilligung des Sportlers eine Strafbarkeit des Dritten insoweit in Betracht. – Aus § 228 StGB (Sittenwidrigkeit: „Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.“) kann nicht die Unwirksamkeit der Einwilligung eines Sportlers hergeleitet werden, der über die Gefährlichkeit des beigebrachten Mittels informiert war: Diese Schranke der Einwilligung verstößt gegen das Bestimmtheitsgebot der Verfassung (Art. 103 Abs. 2 GG). – Die Unwirksamkeit dieser gesetzlich statuierten Einwilligungsschranke steht einer richterlichen Schrankenziehung im Bereich der Einwilligung nicht entgegen: Da das Institut der Einwilligung als solches zulässigerweise nicht strafgesetzlich geregelt ist, können auch die Schranken für dieses strafbefreiende Institut von Jurisprudenz und Judikative im Wege systemgerechter Auslegung festgelegt werden. – Einwilligungsschranken, durch die ein freiverantwortlich Handelnder ausschließlich davor bewahrt werden soll, sich selbst zu schädigen, sind angesichts verfassungsrechtlicher Vorgaben nicht zulässig; auch aus der Garantie der Menschenwürde (Art 1 Abs. 1 GG) folgt nichts anderes. Ferner kann es nicht Aufgabe des Strafrechts sein, einen Einwilligenden vor den Folgen des Gebrauchs seiner Freiheit zu schützen. Unbedenklich sind hingegen Beschränkungen der Einwilligungsbefugnis, wenn hierdurch Dritte (beispielsweise: andere Sportler) geschützt werden sollen. Der Verstoß gegen Vorgaben des Sportverbandsrechts als solcher führt noch nicht zur Unwirksamkeit der Einwilligung in die Körperverletzung; dies verstößt nicht gegen den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung. Das Aufstellen einer Einwilligungsschranke zum Schutze Dritter kann aber gegen das Verbot der „Rechtsgutsvertauschung“ verstoßen: Die vom Gesetzgeber in den Tatbeständen getroffenen Unrechtsvertypungen hindern im Bereich der Einwilligung grundsätzlich daran, eine erteilte Einwilligung aus Gründen für unwirksam zu erklären, die in der Strafvorschrift, die dieses Rechtsgut schützt, keinen Anklang gefunden haben; dies ergibt sich nicht nur aus dem Parlamentsvorbehalt für Strafvorschriften, sondern auch aus der Verrufswirkung des Strafurteils sowie der (positiven) Generalprävention. Eine Einschränkung hierfür gilt allerdings dann, wenn ein konsentiertes Individualdelikt mit einer Strafvorschrift zusammentrifft, die Drittinteressen schützt (Gebot der Widerspruchsfreiheit der Ordnung des Strafrechts): Ist für eine konkrete Fallgestaltung strafgesetzlich normiert, dass zum Schutze von Drittinteressen die Verfügungsfreiheit über ein Individualrechtsgut aufgehoben ist, so kann einer Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Individualrechtsgutes keine rechtfertigende Wirkung zukommen. Auf der Basis der im deutschen Arzneimittelgesetz vorhandenen Anti-Doping- Strafvorschriften führt dies zu dem Ergebnis, dass der Einwilligung des gedopten Sportlers auch im Bereich der Körperverletzungstatbestände keine rechtfertigende Wirkung zukommt.