Drittmittel : vom Mittel zum Zweck zum (zweifelhaften) Zweck der Mittel

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Zillmann, Nadine; Kolb, Michael
Erschienen in:Ze-phir
Veröffentlicht:21 (2014), 1 (Drittmittel), S. 3-7, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Zeitschriftenartikel
Medienart: Elektronische Ressource (online) Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
ISSN:1438-4132, 1617-4895
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU201412010759
Quelle:BISp

Abstract

Die universitäre Forschung ist in Zeiten neoliberaler leistungsbezogener Outcome-Steuerung zu einem relevanten Teil zu Drittmittelforschung geworden. Das Verhältnis von staatlicher Grundfinanzierung und Drittmittelfinanzierung an den Universitäten ist in eine dramatische Schieflage geraten. Drittmittel sind vielfach keine Ergänzung zur Grundfinanzierung mehr, sondern wesentlich an deren Stelle getreten. Der Drittmittelanteil an der Finanzierung von Hochschulen in Deutschland beträgt derzeit insgesamt fast 25 %, in Einzelfällen jedoch schon bis zu 40 %. Zwischen 1995-2011 stiegen die universitären Grundmittel um 42 %, die Drittmittel im gleichen Zeitraum jedoch um über 200 %. Betrug das Verhältnis der Dritt- zu den Grundmitteln 1995 noch 1:7, so lag es 2011 bereits stellenweise bei 1:3. In den deutschsprachigen Ländern hat sich in den letzten Jahren bei der Besetzung von Stellen der Trend durchgesetzt, die Leistung der Kandidat(inn)en neben ihren wissenschaftlichen Publikationen primär auf der Basis eingeworbener Drittmittel zu bewerten. Daraus hat sich eine „systeminhärente Eigendynamik“ entwickelt, da Drittmittelbilanzen zur „wichtigsten symbolischen Währung im Wissenschaftssystem geworden“ sind. Die Reputation eines Wissenschaftlers/einer Wissenschaftlerin hängt heutzutage von Drittmitteleinwerbungen mindestens genauso ab wie von der eigentlichen Forschungsleistung. Drittmittel haben so die Funktion einer „sekundären Währung“ im Wissenschaftssystem übernommen und sind von einem Mittel zum Zweck der Finanzierung von Forschungen zu einem eigenständigen Wertmaßstab für den vermeintlichen Forschungserfolg geworden. Auch die Förderung deutscher Hochschulen durch die von den Ländern vergebenen Mittel erfolgt leistungsbasiert und auch hier vor allem auf Basis eingeworbener Drittmittel. Je mehr Drittmittel eingeworben wurden, desto höher die Förderung aus der öffentlichen Hand. Man gewinnt fast den Eindruck, dass an die Stelle des leitenden Ziels des Wissenschaftssystems, nämlich die Generierung neuer Erkenntnisse, mehr und mehr ein ökonomisch definierter Maßstab tritt. Dabei ist ein statistischer Zusammenhang zwischen Drittmitteleinwerbung und -einsatz sowie qualitativ hochwertigen Forschungsergebnissen nur begrenzt nachweisbar. Während z. B. in der Pharmazie noch ein gewisser statistisch nachweisbarer Zusammenhang besteht, ist dieser in den Geisteswissenschaften nicht existent. Erfolg im Drittmittelgeschäft sagt zudem wenig über die Befähigung zum Forschen selbst aus, sondern eher über die Befähigung zum Verfassen von „Antragsprosa“ oder einer allgemeinen Befähigung zum Management von Projekten, die man benötigt um z. B. in EU-Projekten die Hürden der Projektabrechnung erfolgreich zu bestehen. Vor diesem Hintergrund werfen Verf. einen kritischen Blick auf die Entwicklungen, die die radikale Zunahme des Drittmittelanteils in der Forschung mit sich bringt: einerseits aus der Perspektive eines Wissenschaftlers einer Generation, für die Drittmittelanträge zu Beginn ihrer wissenschaftlichen Laufbahn keinerlei Bedeutung hatten und deren Karriereweg noch kaum vom Zwang zur Einwerbung von Drittmitteln gekennzeichnet war; andererseits aus der Perspektive einer Vertreterin des wissenschaftlichen Nachwuchses, die sich praktisch täglich in irgendeiner Form mit dem Thema Drittmittel auseinandersetzen muss. Die Ausführungen verdeutlichen, dass der Fokus auf Drittmitteleinwerbungen sowohl für Nachwuchswissenschaftler/innen sowie für das gesamte Wissenschaftssystem bzw. die Universitäten mit potenziell positiven, vielfach aber problematischen Folgen verbunden sind, die die Qualifizierung sowie die Wissenschaftskarrieren gefährden und zu nicht absehbaren externen Steuerungen innerhalb der Wissenschaft führen können. Drittmitteleinwerbungen und Drittmittelbilanzen erscheinen in vieler Hinsicht ungeeignet, die Qualität von Forschungsleistungen zu bewerten. Allerdings ist nicht die Drittmittelförderung selbst das Hauptproblem, sondern der „systemische Zwang“ im Wissenschaftssystem, Drittmittel einwerben zu müssen. Die Forschungsfreiheit ist nicht durch die Drittmittelforschung per se gefährdet, sondern durch die (chronische) Unterfinanzierung der Universitäten. Wichtig wäre deshalb eine stärkere Unterstützung der Forschung durch die öffentliche Hand. Ansonsten drohen wissenschaftliche Energie und Humanressourcen durch aufwändiges Antragschreiben für Forschungsinhalte, die persönlich nicht interessieren, vergeudet zu werden. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)