"Sport ist die körperliche und seelische Selbsthygiene des arbeitenden Volkes" : Arbeit, Leibesübungen und Rationalisierungskultur in der Weimarer Republik

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Dinçkal, Noyan
Erschienen in:Body politics
Veröffentlicht:1 (2013), 1, S. 71- 97, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Zeitschriftenartikel
Medienart: Elektronische Ressource (online) Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
ISSN:2196-4793
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU201305004012
Quelle:BISp

Abstract

Der Sport bildete einen wichtigen Aspekt biopolitischer Verwertungsinteressen in der Weimarer Republik. Sport, so das Argument, das speziell von Medizinern und Physiologen vorgebracht wurde, habe nicht nur der Stärkung der „Volksgesundheit“ und „Volkskraft“, sondern auch der Wirtschaft und der Steigerung der Arbeitsleistung zu dienen. Wenn Theodor Lewald, ein führender Sportfunktionär, in einer Rede vor der Berliner Industrie- und Handelskammer 1926 ausrief: „Sport ist die körperliche
und seelische Selbsthygiene des arbeitenden Volkes“ und darin „neben dem Kapital und neben der Intelligenz, der Tatkraft und dem Organisationstalent unserer Unternehmer das hauptsächliche Aktivum für den Aufbau der deutschen Wirtschaft“ erblickte, so verwies er nicht nur auf den Nutzen des Sports in der „Körperkrise“ der Zwischenkriegszeit, sondern auch auf die Subjektivierungsmechanismen, die auf dem Sportplatz eingeübt und am Arbeitsplatz wirksam werden sollten. Grundlage für ein solches Zusammendenken von Arbeit und Sport – so die zentrale These des Beitrags – war eine Aspekte der Arbeits- und Sportphysiologie sowie der Psychologie miteinander verknüpfende, anwendungsorientierte und interdisziplinär ausgerichtete „Leistungswissenschaft“, die darauf abzielte, moralische Belehrung und ökonomischen Zwang durch „exakte“ wissenschaftliche Prognosen von physischer und psychischer Eignung und Leistung zu ersetzen. Von dieser These ausgehend werde ich untersuchen, inwieweit die Debatten um die Nutzbarmachung des Sports in die spezifische Rationalisierungskultur der Weimarer Zeit eingebettet waren. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang die Frage, welche spezifischen Formen der Körpersozialisation damit verknüpft wurden und inwieweit in den wissenschaftlichen Diskursen und Praktiken der Sport als Mittel betrachtet wurde, einen spezifischen, industriegesellschaftlichen Körper hervorzubringen. Dabei werden aber auch die aus der ideellen Identifikation von Sport- und Arbeitsplatz rührenden Spannungen und Ambivalenzen thematisiert, die sich in den zeitgenössischen Debatten beispielsweise in der Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe wie „Körperspiel“ und „Arbeit“ manifestierten. Aus der Einleitung

Abstract

This article argues that, during the Weimar period, physical exercises were linked to debates about a „human economy.“ Especially in the aftermath of the First World War, physical exercises became a vital component of population policies aiming at the restitution of the productive capacities of the population. Within this framework, representatives of sports physiology and psychotechnics interpreted sports as a kind of work. The goal was to improve the mental and physical performance of workers in the interest of efficiency, job performance, and the national economy. This article, focusing on interactions between sport sciences, work physiology, and debates on efficiency, places the objectives and discourses of these debates and the history of sport in the 1920s within the context of the Weimar rationalization movement. Verf-Referat