Eine Anästhetik des Sports : Versuch über das Doping

Gespeichert in:
Bibliographische Detailangaben
Autor:Seel, Martin
Erschienen in:Zeitschrift für Kulturphilosophie
Veröffentlicht:4 (2010), 1 (Brot und Spiele), S. 7-16, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Zeitschriftenartikel
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
ISSN:1867-1845, 2366-0759
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU201103002442
Quelle:BISp

Abstract

Praktiken des Dopings sind eine schleichende Mitgift des modernen professionalisierten Wettkampfsports. Vor einigen Jahren hätte man dies vielleicht für einen zynischen Satz halten können, aber diese Zeiten sind endgültig vorbei. Auch die Athleten, Zuschauer und Funktionäre, die es lange nicht wahrhaben wollten, können nicht länger darüber hinwegsehen, daß es sich hierbei um eine schlichte Tatsache handelt. Doping ist ein Gift, das den Berufssport in seiner heutigen Gestalt infiziert hat und weiter infiziert. Schwer zu erklären ist dieser Umstand nicht. Zusammen mit seiner immer intensiveren medialen Begleitung und Inszenierung hat der Sport eine weitreichende Ökonomisierung erfahren. In ihr wird der Wettstreit der Athleten um die beste Leistung zugleich zu einem Wettkampf um Fördermittel und Einnahmen, gepaart mit einer Konkurrenz um die Aufmerksamkeit von Öffentlichkeit und Sponsoren. Der durch diese Faktoren angefeuerte Wille zur Selbstüberbietung, der vielen Aktiven zur zweiten Natur geworden ist, erzeugt ein Syndrom, das Sportlerinnen und Sportler mitsamt ihren Betreuern in vielen Sportarten in die Versuchung treibt, ihre Leistungsfähigkeit mit verdeckten Mitteln zu optimieren. Diejenigen, die ihr unterliegen, tun dies nicht, weil sie einen besonders schlechten Charakter hätten, sondern weil sie bestehen wollen in dem System, das der moderne Sport ist und dessen herausragende Repräsentanten sie oft darstellen. Sie wollen ihren eigenen Erwartungen entsprechen, die mit denen von Umfeld und Öffentlichkeit vielfach verwoben sind. Sie wollen vor sich und den anderen nicht als Versager gelten. Sie wollen nicht als ewige Zweite, Dritte oder gar Vierte abgestempelt, belächelt und bemitleidet werden. Sie wollen ihre Selbstachtung als Sportler nicht verlieren und riskieren es eben deswegen, ihren Kredit als öffentliche Personen zu verlieren. Professionalisierter Hochleistungssport und Doping: das scheint, soziologisch betrachtet, gar keine Mesalliance, sondern eine beinahe standesgemäße Verbindung zu sein. Einleitung