Kritische Bemerkungen über Defizite und Vorzüge des „Freestyle“ im Sport

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Payer, Gerald
Erschienen in:Bewegungserziehung
Veröffentlicht:62 (2008), 4, S. 21-22, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Zeitschriftenartikel
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
ISSN:1726-4375
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU201101000503
Quelle:BISp

Abstract

„Freestyle“ bedeutet freie Improvisation ohne feste Grenzen. Diese Grenzen zieht der Sport üblicherweise durch Spartenkategorisierungen bzw. Geometrisierungen, die Vergleichbarkeit ermöglichen. Die „Freestyle“-Bewegung ist in sehr kurzer Zeit in vielen Facetten und unterschiedlichsten Phänotypen zu einem Symbol jugendlicher Freiheit geworden. Verf. setzt sich kritisch mit Defiziten und Vorzügen des „Freestyle“ auseinander. Die Defizite bleiben dabei in der sich verbreitenden Euphorie im Rahmen der Juvenilisierung der Gesellschaft i. d. R. unbeachtet. So bleibt den Partizipierenden im „Freestyle“ Freiheit tatsächlich nur innerhalb enger, aber nicht oder kaum wahrgenommener Beschränkungen. Diese eingeschränkte Situation findet in paradoxer Weise ihre Übersteigerung im regulierten Wettkampf, in der Form der reglementierten Bewertung („freeride challenge“, „hiphop“ als Wettkampfsport, „streetball“ als Turniersport oder Showspektakel, X-Games usw.). Das, wofür die freien, aus strikt geregelten, stark geometrisierten Zielspielen kreierten Spielformen gedacht sind – nämlich als Möglichkeiten der „poiesis“, des zielgerichteten Herstellens, und der „praxis“ eines freien Handelns –, sind diese Spielformen nur so lange, wie die sie Betreibenden, sich nicht wieder dem Joch der völligen Reglementierung unterwerfen. Allerdings beinhalten die Freiheit und die Wahl des persönlichen Stils in der sportlichen Handlung andererseits auch eine Fülle von Vorzügen: 1. das Erlernen von Selbstverantwortung und Selbstreflexion, wenn dies individuell und als Aneignung einer Kulturtechnik erwünscht ist; 2. das eigene Erleben in der „peer group“ und das damit gewonnene Gemeinschaftsgefühl, das allerdings unreflektiert wiederum trügerisch ist; 3. der Wechsel von aktivem und passivem Partizipieren und das damit verbundene Gefühl der permanenten Integration in die Gruppe der Gleichdenkenden; 4. die Übertragung des Schiedsgerichts, der Frage nach dem Umgang mit Gerechtigkeit, an die sportlich Handelnden („streetball“); 6. damit die verantwortungsvolle Personalunion Trainer/Coach – Spieler – Schiedsrichter; 7. für Pädagogen: die Verdinglichung der Freiheit als Konzentrat des Zielspiels (Beachvolleyball, Beachsoccer, Streetball); 8. die Symbolwirkung der freien Spielkulturen für das Selbstverständnis der Jugendkultur an sich. Aber: Das, wonach die nach Freiheit strebende Jugend in den Spielformen des „Freestyle“ sucht und was sie gläubig zu finden meint, beschränkt tatsächlich die Wahl der Mittelfreiheit, sowohl im Hinblick auf die Emanzipation der Jugend und der Geschlechter als auch im Hinblick auf die Selbstverwirklichung des Individuums und dessen Persönlichkeitsentwicklung nicht nur im Sport. Unreflektiert reduzieren sich die Möglichkeiten der Konstruktion, Re-Konstruktion, De-Konstruktion sportlicher Wirklichkeiten. Die Auseinandersetzung mit einem Spiel wie „streetball“, das aus der Kultur jugendlicher Individualität auf der Straße und dem Hinterhof erwachsen ist und selbst Kultur wird, bedarf daher im pädagogischen Kontext einer umfassenden kritischen Auseinandersetzung, die der/dem Lehrenden obliegt. Ist die kurzfristige Befriedigung im Spiel aufkeimender emotionaler Bedürfnisse ohne Rücksicht auf andere die einzige Intention des Aufsuchens der Spiel- und Wettkampfsituation oder ist es das „Sich-im-Spiel/Sport-Erleben“ im Rahmen eines sportlich-wettkämpfenden kategorischen Imperativs? Letzteres ist Verf. zufolge allen ans Herz zu legen, den Lernenden wie auch den Lehrenden. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)