Habilitation und Lehrkompetenz

Gespeichert in:
Bibliographische Detailangaben
Autor:Thiele, Jörg
Erschienen in:Ze-phir
Veröffentlicht:2 (1995), 1 (Hochschuldidaktik), S. 9-12, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Zeitschriftenartikel
Medienart: Gedruckte Ressource Elektronische Ressource (online)
Sprache:Deutsch
ISSN:1438-4132, 1617-4895
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU201101000476
Quelle:BISp

Abstract

Die Habilitation ist ins Gerede gekommen. Die Gründe und Hintergründe für diesen Befund sind vielfältig und hier nicht im Detail zu erörtern. Die Spannbreite der vertretenen Positionen reicht dabei von der Forderung nach einer völligen Neustrukturierung der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses und damit einhergehend einer notwendigen Professionalisierung des Hochschullehrerberufs bis zum „Bekenntnis zur Habilitation“ etwa von Seiten des Hochschulverbandes. Vor diesem Hintergrund geht es in diesem Beitrag nicht um die Frage ‚Habilitation – pro und contra?’, sondern um ein zunehmend an Bedeutung gewinnendes Detailproblem der Habilitationsphase, das aber gerade bei den Verfechtern der traditionellen Habilitation unberücksichtigt bleibt: die Lehrkompetenz (zukünftiger) Hochschullehrer. So ist die einseitige Berücksichtigung der Leistungen und Fähigkeiten im Forschungsbereich als Kriterien für die Feststellung der Eignung von Hochschullehrern auffallend, während andere Kompetenzen etwa in Lehre, Beratung und Selbstverwaltung als „in der Regel durch Erfahrung“ nachgewiesen gelten und kaum systematische Berücksichtigung finden. Eine derartige Praxis muss insofern befremdlich wirken, als durch die Habilitation doch ausdrücklich die „Lehrbefähigung“ für ein Fachgebiet erworben werden soll. Unter historischer Perspektive ist auch bemerkenswert, dass die Einführung der Habilitation zu Beginn des 19. Jahrhunderts gerade als zusätzlicher Ausweis der Lehrbefähigung vorangetrieben wurde. Grund dafür war die Beobachtung, dass angesichts der großen Anzahl der Promovierten die Qualität der Lehre Schaden zu nehmen drohte. Heute hingegen kann festgestellt werden, dass der wissenschaftliche Nachwuchs auf seine Lehrtätigkeit nur unzureichend vorbereitet wird und die Habilitation, die expressis verbis die Lehrbefähigung erteilen soll, im Grunde nur Forschungsleistungen abprüft. Aufgrund des aus dieser Situation resultierenden Unbehagens wird der Ruf nach Abhilfe immer lauter. Ein hochschulpolitisch ebenso interessanter wie brisanter Vorschlag basiert auf gemeinsamen Überlegungen von Kultusministerkonferenz (KMK) und Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und sieht die „Stärkung der didaktischen Kompetenz der Lehrenden“ sowie die „eigenständige Berücksichtigung der didaktischen Befähigung bei Habilitationen und Berufungen“ vor. Bezogen auf das Verfahren der Habilitation konkretisieren sich solche Überlegungen z. B. in der Abänderung des Universitätsgesetzes (UG) von NRW, wenn es dort heißt: „Zur mündlichen Habilitationsleistung gehört auch die Abhaltung einer studiengangsbezogenen Lehrveranstaltung“ (UG §95, 3 v. 3.8.1993). Dieser – neu hinzugefügte – Passus zielt auf die Abprüfung pädagogisch-didaktischer Kompetenz im Sinne einer Lehrprobe im Rahmen des Habilitationsverfahrens. Zur Habilitationsschrift und zum Habilitationskolloquium gesellt sich demnach ein dritter Prüfungsaspekt, dessen gesonderte Erwähnung auf einen angemessenen Stellenwert innerhalb des Gesamtverfahrens rückschließen lässt. Die Hochschulen in NRW sind aufgefordert, diese Vorgabe des UG durch Angleichung der Habilitationsordnungen bis August 1995 ‚umzusetzen’. Eine aus dieser veränderten Situation sich ergebende Frage ist, ob durch solche Initiativen der Gesetzgeber auch wesentliche Verbesserungen des status quo erreicht werden können. Zweifel erscheinen Verf. zufolge angebracht: 1. Das Habilitationsverfahren wird schlicht um eine weitere Hürde bereichert, was zunächst einmal allein zu Lasten des Habilitierenden geht. 2. Das UG lässt die Umsetzung völlig offen, so dass in Konsequenz an den betroffenen Hochschulen weitgehend Ratlosigkeit bezüglich der konkret zu formulierenden Anforderungen herrscht. Unklar sind im Prinzip alle Details der Umsetzung: Ist eine punktuelle Lehrveranstaltung im Sinne einer einzigen Seminar- oder Vorlesungsstunde gemeint? Geht es um normale Unterrichtsbesuche im Rahmen regulärer Semesterveranstaltungen? Ist die Lehrveranstaltung vom Habilitationskolloquium abzukoppeln? Und schließlich: Wer prüft nach welchen Kriterien die Lehrkompetenz der Habilitanden? Die ‚Lehrer, die selbst nicht lehren können’? Alle diese (und andere) Fragen sind offen und tragen im Moment eher zur Verwirrung und Verunsicherung als zur Klärung der Situation bei. Es ist zu befürchten, dass angesichts dieser Diffusität die Umsetzungspraxis zur Farce degeneriert. 3. Es muss gefragt werden, wie und mit welchem Recht man am Ende der Habilitationsphase eine Fähigkeit abprüfen will, auf die die Betroffenen in keinerlei Hinsicht systematisch vorbereitet worden sind, denn eine hochschuldidaktische Ausbildung sieht das UG mit keinem Wort vor. All diese Einwände können jedoch nicht dazu führen, den Gedanken an eine geregelte Ausbildung trotz seiner Unzulänglichkeiten zu verwerfen. Stattdessen sollte versucht werden, den wissenschaftlichen Nachwuchs für seine zukünftigen Aufgaben besser und d. h. systematischer zu qualifizieren. Dies impliziert die Forderung nach einer „professionellen Vorbereitung“, wie sie etwa die Arbeitsgemeinschaft für Hochschuldidaktik (AHD) in ihrer ‚Braunschweiger Erklärung’ 1994 gefordert und ausdifferenziert hat. Hier wird eine Ausbildung im Umfang von 40 SWS verteilt über einen Zeitraum von fünf oder mehr Jahren anvisiert, wobei die inhaltliche Ausfüllung an den Erfordernissen der einzelnen Hochschulen bzw. der unterschiedlichen Studiengänge ausgerichtet bleiben soll. Dazu müssen eigene Angebote ausgearbeitet werden, die im Moment erst in bescheidenen Ansätzen existieren. Festzuhalten bleibt, dass das Problem der ‚Qualität der Lehre’ an den Hochschulen virulent ist und auch von den Hochschulen selbst offensiv angegangen werden muss. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)