Forschungstrends in der Sportwissenschaft – aus der Perspektive der Kommission Gesundheit

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Bös, Klaus
Erschienen in:Ze-phir
Veröffentlicht:3 (1996), 1 (Forschungstrends I), S. 18-24, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Zeitschriftenartikel
Medienart: Gedruckte Ressource Elektronische Ressource (online)
Sprache:Deutsch
ISSN:1438-4132, 1617-4895
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU201012009444
Quelle:BISp

Abstract

Erste Frage: Wohin treibt die sportwissenschaftliche Forschung? Antwort: Die Sportwissenschaft ist zwischenzeitlich breit ausdifferenziert und zahlreiche sportwissenschaftliche Forschungsfelder haben sich etabliert. Dennoch gewinnen gerade in Zeiten knapper Ressourcen Forderungen nach einer Strukturdebatte über sportwissenschaftliche Forschungsinhalte und Forschungsorganisation ein verstärktes Gewicht. Aus der Perspektive der Kommission „Gesundheit“ sind mit der Begründung, Entwicklung, Implementation, Durchführung und Bewertung von Gesundheitsförderungsmaßnahmen in den breitgestreuten Handlungsfeldern Schule, Kommune, Betrieb, therapeutische Einrichtungen Fitnessstudio und Verein vielfältige offene Forschungsfragen verbunden, die einer Klärung bedürfen. Der Sportwissenschaft bieten sich innovative Forschungsfelder und für die Forschungsorganisation Kooperationschancen mit der etablierten Medizin und den sich dynamisch entwickelnden sozialwissenschaftlich orientierten Gesundheitswissenschaften. Ein deutlicher Trend ist in einer verstärkten Akquirierung von Drittmitteln bei Kostenträgern im Gesundheitswesen zu erkennen. Ausgelöst wurde diese Entwicklung durch die Neufassung des §20 im SGB V, der den Kostenträgem im Gesundheitswesen Aufgaben im Bereich der Gesundheitsförderung sowie deren Evaluation zuweist. Von den Bundesverbänden der gesetzlichen Kassen, aber auch von den nachgeordneten Institutionen wurden in Folge eine Reihe von Modellvorhaben und wissenschaftlichen Begleitprojekten vergeben. Zunehmend werden auch höhere Qualitätsansprüche an die Forschung gestellt. Die Anhäufung deskriptiver Befunde ohne theoretische Fundierung und präzise Hypothesenbildung ist wenig zielführend und experimentelle und längsschnittliche Forschungsdesigns sind den aus Zeit- und Kostengründen meist präferierten Querschnittsanalysen und post hoc Vergleichen ohne adäquate Kontrollgruppen weit überlegen. Ein ebenfalls notwendiger Qualitätsschritt ist die vermehrte Durchführung von Sekundäranalysen. Meta-Analysen haben in erheblichem Maße zur Erhellung der Wechselwirkungen von körperlicher und seelischer Gesundheit, sportlicher Aktivität und körperlicher Leistungsfähigkeit beigetragen. Zweite Frage: Wohin tendiert die Forschung? Antwort: Für das Forschungsfeld „Sport und Gesundheit“ können folgende Aussagen zu den Forschungsinteressen der befragten Kommissionsmitglieder präsentiert werden: Von zwischenzeitlich 48 Sportwissenschaftlerinnen und Sportwissenschaftlern liegen Nennungen zu interessierenden Themenschwerpunkten und Forschungsinteressen im Bereich Sport und Gesundheit vor. Am meisten genannt wird die „Analyse der Auswirkungen sportlicher Aktivierung“ (65 %), gefolgt von „Programmentwicklung“ (50 %) und „Sport als Therapie“ (44 %). Diese Interessenschwerpunkte sind eher anwendungsorientiert. Ein erheblicher Teil der Befragten präferiert methodologische Aspekte (42 %), während epidemiologische Studien (33 %) weniger genannt werden. Aufgelistet wurden bei der Umfrage auch eine ganze Reihe aktueller und innovativer Einzelinteressen, z. B. „Medien und Gesundheit“, „gesundheitsbezogene Kognitionen“, „ethische und soziale Aspekte der Gesundheitsförderung“ und „Gesundheitssport im Alltag“. Von einer ganzen Reihe von Wissenschaftlern wurden auch Forschungsinteressen in Verbindung mit dem Schulsport formuliert („bewegte Schule“, „Rückenschule für Kinder“, „funktionelle Diagnostik“, „Gesundheitsmaßnahmen als Grundlage für die Organisationsentwicklung in Schulen“). Versucht man eine Systematisierung des Forschungsfeldes, so lassen sich vier Forschungsstränge benennen. Erstens die Auseinandersetzung mit Gesundheitsvorstellungen und Gesundheitstheorien auch unter Berücksichtigung des historischen und institutionellen Kontextes. Ein Bereich, der in Forschung und Ausbildung z. Zt. viel Beachtung findet, ist dabei die öffentliche Gesundheitsförderung (Public Health). Ein zweiter Forschungsstrang ist die Auseinandersetzung mit sportlicher Aktivität/Inaktivität. Drittens sind Möglichkeiten und Perspektiven zur Gesundheitsförderung durch sportliche Aktivität zu analysieren. Zugangsmöglichkeiten bilden disziplinorientierte Sichtweisen (z. B. Medizin, Psychologie, Trainings- und Bewegungswissenschaft, Ernährungswissenschaft) bzw. inhaltliche Differenzierungen nach Gesundheitsressourcen (körperliche, emotionale, kognitive, motivationale) und Gesundheitsrisiken. Einen vierten Forschungsansatz bildet die Auseinandersetzung mit der Gesundheitsforschung in unterschiedlichen Institutionen und Organisationen. Ein wichtiges Feld bildet die Therapieforschung. Dritte Frage: Welche Themen werden zukünftig richtungsweisend sein? Antwort: Im Kern lassen sich Forschungsfragen zur sportwissenschaftlichen Theorienbildung im Gesundheitssport, zur Methoden- und Programmentwicklung, zur Implementation von Maßnahmen sowie zu deren Akzeptanz und Nutzen formulieren. Ein besonderes Spannungsfeld ergibt sich häufig aus der Konkurrenz von Medizin und anderen Disziplinen (Psychologie, Pädagogik, Soziologie, Sportwissenschaft), die sich ebenfalls zunehmend mit der Gesundheit und Gesundheitsforschung beschäftigen. Vierte Frage: Wo liegen die weißen Flecken sportwissenschaftlicher Forschung? Antwort: Einfach zu stellende, aber bisher nur unzulänglich beantwortete Fragen im Gesundheitssport sind „Welcher Sport für wen?“, „Wieviel Fitneß braucht der Mensch?“ oder „Welche organisatorischen und strukturellen Voraussetzungen begünstigen die erfolgreiche Implementation von Gesundheitsförderungsmaßnahmen?“ „Welchen Nutzen lassen Gesundheitsförderungsmaßnahmen erwarten?“ Aus grundlagenorientierter Sicht gilt es, theoretische Modellvorstellungen zu den Beziehungen von sportlicher Aktivität, Fitness, Wohlbefinden und Gesundheit zu formulieren und in angemessener Weise zu überprüfen. Einzelne Komponenten solcher Modelle lassen sich repräsentativ oder für definierte Gruppe im Querschnitt beschreiben, experimentelle Studien ermöglichen einen Einblick in Ursache-Wirkungs-Ketten, der Gesamtzusammenhang lässt sich aber nur in langfristig angelegten und gut kontrollierten epidemiologischen Längsschnittstudien angemessen beschreiben. Es gilt auch, geeignete Methoden zur Operationalisierung der Modellbeziehungen von Sport und Gesundheit zu entwickeln. Bei den psychosozialen und somatischen Modellkomponenten ist es vielfach hilfreich, Verfahren aus anderen Wissenschaftsdisziplinen zu rezipieren und für sportspezifische Fragestellungen zu adaptieren. Für die Erfassung der gesundheitsorientierten Fitness liegen bereits vielfältige Ansätze vor. Diese sind zu bündeln, auf Gütekriterien zu überprüfen und für den Routineeinsatz aufzubereiten. Hier gilt für die fachwissenschaftliche Diskussion nach wie vor, dass der Reviewprozess in sportwissenschaftlichen Fachzeitschriften internationalen Standards angepasst werden sollte, damit nicht weiter Methoden publiziert werden, die den testtheoretischen Standards in keiner Weise gerecht werden. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)