Verschoben, verpfiffen, verachtet. Fußball in Serbien und Montenegro seit 1992

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Vujosevic, Zarko
Erschienen in:Überall ist der Ball rund : zur Geschichte und Gegenwart des Fußballs in Ost- und Südosteuropa
Veröffentlicht:Essen: Klartext-Verl. (Verlag), 2006, S. 219-249, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU201001001544
Quelle:BISp

Abstract

Nach dem Zerfall des sozialistischen Jugoslawien in den Jahren 1991 und 1992 wurde im April 1992 die Bundesrepublik Jugoslawien (BRJ) gegründet, die aus den beiden übrig gebliebenen Republiken des ehemaligen Staates bestand. Dieser Bund erhielt Anfang 2003 eine neue Form als Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro (SBM). Die Geschichte dieses Raumes im Rahmen der beiden genannten nacheinander bestehenden staatlichen Organisationen stellt eine Zeit der andauernden allgemeinen gesellschaftlichen Krise und politischen Instabilität dar. Eine solche Lage spiegelt sich auch im Sport wider, insbesondere wenn es sich um eine der wichtigsten Sportarten, den Fußball, handelt. Folglich betrachtet Verf. die Geschichte des Fußballs in Serbien und Montenegro im Zusammenhang mit den Entwicklungen in der Politik, Wirtschaft und Kultur. Konkret behandelt werden: der Spielbetrieb und seine Organisationsformen, der Fußballbund und die einzelnen Vereine, die fachliche Arbeit der eingesetzten Kräfte, der öffentliche Diskurs und das Verhalten der Vereinsanhänger sowie die Rolle des Fußballs in Gesellschaft und Staat. Die Spiele als der Bereich, in dem alle genannten Aspekte zusammentreffen, stehen im Mittelpunkt, wobei nur hochrangige Veranstaltungen beachtet werden: Die einheimische Meisterschaft in der ersten und zweiten Liga sowie der Pokalwettbewerb und die Teilnahme der serbisch-montenegrinischen Vereine und der Nationalmannschaft an internationalen Wettkämpfen. Angesichts der Tatsache, dass die jugoslawische Liga in den 1980-er Jahren eine der stärksten Europas war (seit der Saison 82/83 konnten drei jugoslawische Vereine am UEFA-Pokal teilnehmen, den Höhepunkt bildete der Sieg von Roter Stern Belgrad über Olympique Marseille im Endspiel des Pokals der Landesmeister 1991), kann die weitere Fußballgeschichte in Serbien und Montenegro nur als Krise und Verfall bezeichnet werden. Die Krise begann aber nicht nur durch die allgemeine politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage, in der sich die Staaten des ehemaligen ‚Ostblocks’ zu dieser Zeit befanden und die auch für den Fußball negative Folgen hatte. Der Zusammenbruch der sozialistischen Systeme brachte Probleme für alle osteuropäischen Ligen und deren Vereine mit sich, die organisatorisch und finanziell mit dem Westen nicht mehr Schritt halten konnten. Eine der auffälligsten Ursachen des Qualitätsverlusts im Osten war die Ohnmacht der Vereine, ihre besten Spieler und Trainer zu behalten: Immer mehr gingen zu westliche Klubs. Die Entwicklung des Fußballs in Serbien und Montenegro nach 1991/92 war aber von zusätzlichen spezifischen Umständen betroffen. In dem 1992 neu gegründeten Staat hatte sich die Regierungsform erhalten, die die erforderlichen Reformen nicht durchführen konnte und wollte, was eine ständige Instabilität und Wirtschaftskrise zur Folge hatte. Ferner wurde die neu gegründete BRJ von der internationalen Gemeinschaft ausgeschlossen. Schon im Frühjahr 1992 waren gegen das Land Sanktionen, die auch den Sport betrafen, verhängt worden. Die Gesellschaft war geprägt von Korruption, Kriminalität, Gewalt und einem allgemeinen Zerfall der öffentlichen Ordnung. Da die Klubs wegen der Sanktionen keine Möglichkeiten hatten, an internationalen Wettbewerben teilzunehmen, die sportlichen Ziele demgemäß nicht zu hoch gesteckt wurden und die allgemeine Krise die Einnahmequellen stark begrenzte, entschlossen sich die Vereine, jede Gelegenheit zu nutzen, ihre Spieler ins Ausland zu verkaufen. So war die Mannschaft des Europapokalsiegers Roter Stern Belgrad schon 1992 fast völlig ‚ausverkauft’. Das Sportembargo hatte insbesondere für die Nationalmannschaft verheerende Folgen. Nach dem guten Ergebnis bei der WM in Italien 1990 (Viertelfinale) qualifizierte die Mannschaft sich für die Europameisterschaft in Schweden 1992 und reiste mit großen Hoffnungen dorthin, aber ohne Spieler aus Kroatien. Wegen der Sanktionen wurde ihr aber im letzten Moment die Teilnahme verweigert und Dänemark nachnominiert, das dann völlig überraschend den Titel gewann. Nachdem der Bundestrainer Ivica Osim das Land verlassen hatte, hörte die Nationalmannschaft praktisch auf zu existieren, da sie auch an der nächsten WM in den USA 1994 nicht teilnehmen durfte. Selbst in den Jahren 2000 und 2001 (ab 1995 war es den Vereinen der BRJ wieder erlaubt, an den UEFA-Wettbewerben teilzunehmen) spielten die serbisch-montenegrinischen Vereine immer noch keine bedeutende Rolle in den UEFA-Wettbewerben. Eine Besserung der nach wie vor kritischen Lage des serbisch-montenegrinische Fußballs hängt Verf. zufolge von einer Stabilisierung der sozio-ökonomischen und gesellschaftspolitische Lage ab. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)