"Sozialistischer Fußball" auf Erfolgskurs. Der ungarische Fußball im Spannungsfeld der Politik von 1948 bis 1954

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Lenz, Britta
Erschienen in:Überall ist der Ball rund : zur Geschichte und Gegenwart des Fußballs in Ost- und Südosteuropa
Veröffentlicht:Essen: Klartext-Verl. (Verlag), 2006, S. 275-298, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU201001001543
Quelle:BISp

Abstract

Zwischen 1950 und 1954 blieb die ungarische Fußballnationalmannschaft in 32 Spielen in Folge unbesiegt und setzte sich dabei u. a. gegen die Spitzenmannschaften aus England, Italien, Uruguay oder Brasilien durch. Ungarische Nationalspieler wie Ferenc Puskás, Nàndor Hidegkuti oder Sándor Kocsis erlangten mit ihrer technischen Perfektion und taktischen Abstimmung die Aufmerksamkeit und Bewunderung des internationalen Fußballpublikums. Während die ungarische Nationalmannschaft im Ausland „Tore gegen den Imperialismus“ erzielen und die „Überlegenheit des Kommunismus“ demonstrieren sollte, durchlebte die ungarische Bevölkerung eine Zeit der politischen Repression und wirtschaftlichen Depression. Das kommunistische Regime in Ungarn unter der Führung von Mátyás Rákosi machte willkürlichen Terror gegen die eigene Bevölkerung zum Instrument ihrer Machtsicherung und schuf so ein Klima von Unsicherheit und Angst. Massenhafte Verhaftungen, Schauprozesse, Deportationen, Umsiedlungen und Enteignungen erschütterten in diesen Jahren die sozialen und wirtschaftlichen Grundfesten der ungarischen Gesellschaft. Die Leitung der ungarischen Kommunisten war der sowjetischen Führung in Moskau treu ergeben und sorgte für eine Eingliederung der ungarischen Volksdemokratie in den sowjetischen Machtbereich. Vor diesem Hintergrund wurden die erfolgreichen Fußballspieler im In- und Ausland zu bedeutenden Propagandafiguren, der Fußball für die ungarischen Kommunisten zur Chance, von den wirtschaftlichen und sozialen Problemen des Landes abzulenken, positive Identifikationsangebote zu schaffen und die Illusion gesellschaftlichen Fortschritts zu erzeugen. Fußball und Politik waren in dieser Zeit eng miteinander verflochten. Im Anschluss an die ungarische Finalniederlage bei der WM 1954 in der Schweiz musste die kommunistische Führung erfahren, welche Gefahr diese Verbindung von Sport und Politik im Falle einer sportlichen Niederlage in sich barg. Die Hoffnungen der Bevölkerung auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage waren enttäuscht worden. Mit der Niederlage im Finale von Bern war ein weiterer Mosaikstein aus der Propagandafassade der ungarischen Kommunisten gebröckelt. Die starke Nähe der Sportler zur Politik führte außerdem zu einem Ansehensverlust der Fußballer. Die Privilegien der Sportler ließen erkennen, dass eine professionelle Sportelite entstanden war, die sich von der gesellschaftlichen Realität eines Großteils der Bevölkerung weit entfernt hatte. Solange die sportlichen Erfolge sichtbar gewesen waren, hatte diese Praxis Duldung erfahren. Nachdem die Sportler die Erwartungen er Fußballanghänger enttäuscht hatten, wurde jedoch Kritik laut. Die Ausschreitungen trafen die kommunistische Führung völlig unvorbereitet. Die Polizei reagierte unsicher und entschied sich gegen ein Eingreifen. Die Proteste konnten sich so ungehindert entwickeln. Sie gaben erste Hinweise auf die zunehmende Unzufriedenheit der ungarischen Bevölkerung mit der politischen Führung und offenbarten das vorhandene Protestpotenzial, das sich in der Revolution von 1956 in vollem Maße entfalten sollte. Der Fußball selbst konnte sich zwar zunächst wieder konsolidieren, verlor in der zweiten Hälfte der 1950-er Jahre aber die Förderung durch das politische Regime und erlebte in den folgenden Jahrzehnten einen stetigen Verfallsprozess. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)