Fußball in der protestantischen Öffentlichkeit seit 1950

Gespeichert in:
Bibliographische Detailangaben
Autor:Ulrichs, Hans-Georg
Veröffentlicht:Wuppertal: Foedus (Verlag), 1998, 32 S., Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Monografie
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
ISBN:3.932735196
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU201001001167
Quelle:BISp

Abstract

In den Nachkriegsjahren lief die Auseinandersetzung über den gesellschaftlichen Einfluss des Sports in der Kirche defensiv über die Frage nach Sportveranstaltungen an Sonn- und Feiertagen und moralisch über die Frage nach der „Geschäftemacherei“ des Fußball-Totos. Die Kirche verlangte von den Sportbünden, mindestens zu Hauptgottesdienstzeiten keine Spiele oder Turniere zu veranstalten – sonst hätte sich das Individuum ja zwischen Kirche und Sportplatz entscheiden müssen; mehr als den Kirchen recht gewesen wären, hätten sich wohl für den Sportplatz entschieden. Die Auseinandersetzungen darüber ließen beide gesellschaftlichen Größen in ein Konkurrenzverhalten zueinander treten und gegenseitige Vorurteile sich verfestigen: So blieb der Fußball mit allen seinen Auswirkungen in der kirchlichen Öffentlichkeit als „ungehobelte Entartung“ bestehen, die Kirche wiederum wurde andererseits von der sportlichen Öffentlichkeit als weltfremde, moralisierende Institution angesehen. Auch der Gewinn der Weltmeisterschaft 1954, für viele Menschen so etwas wie eine psychische Zensur, findet praktisch keinen Niederschlag im offiziellen Protestantismus. Erst im Februar 1965 kam es zum ersten Treffen zwischen den DSB- und den EKD-Spitzen. In der kirchlichen Öffentlichkeit wurde nun anerkannt, dass sich der Sport „zu einer der größten gesellschaftlichen Institutionen entwickelt“ hatte, ja als „gesellschaftliche Großmacht“ bezeichnet werden muss. Wie so oft waren es die Akademien, die dazu beitrugen, dass man sich in der Kirche auch kundig machte und nicht mehr vorschnell moralisch verurteilte. Im November 1967 veranstaltete die Bad Boller Akademie eine Tagung unter dem Titel „Der bezahlte Fußballsport“, im Januar 1975 veranstaltete die Bad Segeberger Akademie ihre 5. Sporttagung „Berufssport am Beispiel Fußball“. Trotz der defensiven Haltung wurden Anstöße der gesellschaftlichen Reformbemühungen und des Zeitgeistes von der Kirche angenommen. Sport wurde nun als Teil bzw. als Spiegel der Gesellschaft angesehen. Kritisch wurde analysiert, dass nicht nur die Kirchen, sondern auch die Politiker begriffen haben, dass Fußball „zum gesellschaftlichen Phänomen ersten Ranges geworden“ ist. Mitte der achtziger Jahre wurde das Kulturphänomen Fußball unerwarteterweise von einem kirchlichen Flügel aufgewertet, der mit der weltlichen Unbill sonst mehrheitlich im Unfrieden lebt: Die Evangelikalen entdeckten den Fußball. Zu erinnern ist hier nicht allein an die Aktion „Sportler ruft Sportler“ mit ihrem Fußball-Team und ihren WM- und EM-Magazinen, sondern auch und gerade an einige bekennende Christen unter den Profis, wie z. B. der Süd-Koreaner Bum Kun Cha von Eintracht Frankfurt. Nachdem die Faszination des Fußballs erst einmal auch für den Raum der Kirchen derart freigegeben war, konnte er auch thematisiert werden, ohne dass fundamentale oder allein kritische Aussagen gemacht werden mussten. Vielmehr konnte man ihn nun als gesellschaftlich relevantes Problem begleiten. So war zum Auftakt der Saison 1997/98 das Thema Fußball dem EKD-gesponsorten „Deutschen allgemeinen Sonntagsblatt“ drei Artikel wert, und im Herbst 1997 erschien im renommierten Vandenhoeck & Ruprecht-Verlag ein Band mit dem Titel „Fußball und Kirche. Wunderliche Wechselwirkungen“. Die heutige affirmative Sicht des Fußballs ist nicht zu denken ohne die die Kirche umgebenden Veränderungen: So wie sich der Fußball ständig veränderte, die Gesellschaft mehrere Reformschübe erlebte und die Intellektuellen ihre Rolle neu sahen, nämlich eher als Avantgarde denn als herrschende Schicht, so veränderte sich auch die Kirche in ihrem Selbstverständnis und ihre Rolle in der Gesellschaft. Sie lernte zu akzeptieren, dass sie als gelebte und also gebildete Religion nicht in Konkurrenz- oder Hegemonialkämpfen mit anderen Kulturphänomenen steht, sondern dass sie gerade im Dialog mit den anderen ihr Profil gewinnt. Deshalb unterstützt die evangelische Kirche den öffentlichen Diskurs in einem die Demokratie ermöglichenden Pluralismus. In den Jahren seit etwa 1950 haben sich die gesellschaftlichen Phänomene „Fußball“ und „Kirche“ verändert. Dadurch ist die Akzeptanz des Fußballs in der kirchlichen Öffentlichkeit ermöglicht worden. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)