Dribbling in den freien Markt: Die traurigen Erben des Ferenc Puskas

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Müller, Michael
Erschienen in:Die Kanten des runden Leders: Beiträge zur europäischen Fußballkultur
Veröffentlicht:Wien: Promedia Verlag (Verlag), 1991, S. 104-110, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200712003497
Quelle:BISp

Abstract

Die Spieler der ungarischen Nationalmannschaft und des Honvéd-Teams der 1950-er Jahre zeichneten sich durch technische Brillanz, Erfindungsgabe und Kreativität aus. Das sie anderen Mannschaften überlegen machende Teamwork war nur durch das Aufeinandertreffen einiger ausgeprägt individualistischer Spielernaturen, die sich kunstvoll ergänzten, möglich. Hinzu kam, dass es eine Zeit war, in der das Kollektiv alles und das Individuum nichts galt. Die Spieler kamen zumeist aus einfachen Verhältnissen. Die Berufung ins Team bedeutete einen gehobenen Lebensstil und Auslandsreisen, die nicht zuletzt für Schmuggelgeschäfte genutzt wurden. Im Aufruhr nach der unerwarteten WM-Niederlage gegen die deutsche Mannschaft im Jahr 1954 warf in gewisser Weise die Revolution von 1956 ihren Schatten voraus, obwohl es zu weit gehen würde, den Desillusionierungseffekt der WM-Niederlage in einen ursächlichen Zusammenhang mit der zwei Jahre späteren Volkserhebung zu bringen. Nach der Niederschlagung der Revolution blieben mit Ferenc Puskas, Sándor Kocsis und Zoltán Czibor drei tonangebende Persönlichkeiten der ungarischen Auswahl im Ausland. Damit zerfiel die Mannschaft. Später, so vor allem bei der WM 1962 in Chile, erreichte das ungarische Team zwar wieder bedeutendes Format, doch nie wieder konnten ungarische Fußballer dem Maß gerecht werden, an dem sie seit den 50-er Jahren gemessen wurden. In den 80-er Jahren wurde die ungarische Fußballszene von Manipulationsskandalen erschüttert. Die ungarische Gesellschaft befand sich bereits zu diesem Zeitpunkt seit langem im Übergang. Es gab nicht mehr die Möglichkeiten dirigistischer Lenkung wie in totalitären Systemen. Es fehlten auch die für solche Systeme typischen Leistungsanreize. Manche Relikte überholter gesellschaftlicher Verhältnisse (z. B. sich als allmächtig gebärdende Vereinspatrone und -mäzene) hatten sich jedoch trotz schwindenden Einflusses erhalten. Die Versuche, nach dem Vorbild westlicher Klubs ökonomischen Rationalismus und striktes Leistungsdenken einzuführen, scheiterten vorerst am wirtschaftlichen Gesamtmilieu. Die den Fußballern gewährte Freizügigkeit, im Ausland Verträge zu unterschreiben, bereitete dem ungarischen Fußball zunächst nur einen Aderlass. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)