Die Genese von Trendsportarten - zur Wirkung von Institutionalisierungs- und Kommerzialisierungsprozessen

Gespeichert in:
Bibliographische Detailangaben
Autor:Lamprecht, Markus; Murer, Kurt; Stamm, Hanspeter
Erschienen in:Trendsport : Modelle, Orientierungen, und Konsequenzen
Veröffentlicht:Aachen: Meyer & Meyer (Verlag), 2003, S. 33-50, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200712003447
Quelle:BISp

Abstract

Trendsportarten, wie bspw. Snowboarding, Mountainbiking, Skateboarding, Inlineskating, Freeclimbing, Windsurfing, Streetball, Beachvolleyball und Akroski, wollen mehr sein als neue, boomende Sportarten. Trendsportarten zeichnen sich nicht nur durch einen stetig wachsenden Verbreitungsgrad aus, sondern sie propagieren auch ein neues Sportverständnis und verstehen sich als Absetz- und Gegenbewegung zur etablierten Sportwelt. An die Stelle von Verein und Verband treten Freiheit und Individualität, Training und Wettkampf werden durch Spaß und Lebensstil ersetzt. Dies hat einige Beobachter sogar dazu veranlasst, von einem Paradigmenwechsel oder gar vom Beginn eines neuen Sportzeitalters zu sprechen. So gesehen bezieht sich der Begriff „Trend“ also nicht nur auf das schnelle Wachstum einer Sportart, sondern auch auf die durch die neuen Bewegungsformen induzierten Veränderungen der gesamten Sportwelt. Die Betonung des subkulturellen Charakters und der Lebensstilkomponenten täuscht Verf. zufolge jedoch darüber hinweg, dass sich bei der Entwicklung von Trendsportarten dieselben Institutionalisierungsprozesse abspielen, die die sog. Normalsportarten bereits früher durchlaufen haben. Trotz der Beschwörung von Freiheit und Unabhängigkeit werden erfolgreiche Trendsportarten von Normierungs- und Bürokratisierungsprozessen erfasst, die schnell zur Ausbildung eines Wettkampfsystems, der Ausarbeitung eines Regelsystems und der Gründung von Vereinen und Verbänden sowie schließlich zur Eingliederung in den olympischen Sportkanon führen. Konkret vollzieht sich die Genese von Trendsportarten in fünf Phasen: Phase 1: Invention bzw. Erfindung (Merkmale: Einzelperson(en) als Träger, äußerst geringer Beachtungsgrad, sehr geringer Kommerzialisierungsgrad in Gestalt von Einzelanfertigungen, keine Organisation); Phase 2: Innovation bzw. Entwicklung (Merkmale: kleine Gruppen von „Tüftlern“ als Träger, begrenzt auf lokale Zentren, lokal begrenzte Produktion von Sportgeräten, geringer, lokal begrenzter Organisationsgrad); Phase 3: Entfaltung und Wachstum bzw. Durchbruch als Gegenbewegung (Merkmale: subkulturelle Lebensstilgruppen als Träger, Konfrontation mit der etablierten Sportwelt, Entstehung spezifischer Märkte, Organisation in Gestalt von informellen Gruppen); Phase 4: Reife und Diffusion bzw. Differenzierung und Spezialisierung (Merkmale: regelmäßige Sportler als Träger, hohe Verbreitung und Medieninteresse, Produktion von Massenartikeln, Entstehung formeller Organisationen; Phase 5: Sättigung bzw. Etablierung als „Normalsportart“ (Merkmale: verschiedene Benutzergruppen als Träger, „normale“ Sportberichterstattung, fester Bestandteil des Sportmarktes, Bestandteil der etablierten Sportorganisationen). Mit Bezug zur Institutionalisierung unterscheiden sich die Trendsportarten von den Normalsportarten vor allem darin, dass sie jünger und allein schon deshalb weniger normiert und organisiert sind. Das eigentlich „neue“ und „revolutionäre“ an den neuen Bewegungsformen ist weder das propagierte Sportverständnis, noch die Ablehnung von und der Verzicht auf formale Organisationsformen, sondern die einzigartige Verknüpfung mit wirtschaftlichen Verwertungsinteressen. Denn indem die neuen Sportarten aus der staatlichen und pädagogischen Vereinnahmung ideologisch herausgelöst werden, öffnen sie sich vor allem der umfassenden kommerziellen Ausbeutung, was sich besonders darin niederschlägt, dass erfolgreiche Trendsportarten gleichzeitig ein neues und teures Sportgerät propagieren. Somit manifestiert sich mit Blick auf die wirtschaftlichen Interessen in den Trendsportarten weniger eine neue Form von Autonomie und Unabhängigkeit als vielmehr eine eigentliche „Kolonialisierung von Lebenswelt“. Die schnelle und bedingungslose Kommerzialisierung der Trendsportarten ist Verf. zufolge auch ein Grund dafür, dass sich die Entwicklung von Trendsportarten problemlos mit dem ökonomischen Modell des Produktlebenszyklus beschreiben lässt. Demzufolge „lebt“ ein Produkt solange es einen wirtschaftlichen Umsatz auf dem Markt erzielt. Der Boom der Trendsportarten ist, so gesehen, weniger ein Zeichen dafür, dass die heutige Gesellschaft eine Erlebnis- und Trendgesellschaft ist, sondern deutet vielmehr an, dass es sich um eine Konsumgesellschaft handelt. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)