Abstract

An die Macht und Bedeutung des Fußballs kommt heute in vielen lateinamerikanischen Ländern nur noch die der Kirchen heran und wie im Falle von Brasilien, im „schlimmsten Falle“ die Kombination von beiden, wie es D. Chiaretti in „Gott ist rund“ beschreibt. Die Ausnahme bilden die eher von US-Einflüssen bzw. vom britischen Commonwealth geprägten Staaten Mittelamerikas und der Karibik (einschließlich Venezuelas), in denen Baseball und Kricket dominieren. Aber auch hier ist der Fußball auf dem Vormarsch, wie M. Ling in „Die Soca Warriors rücken die Geschichte gerade“ über die erfolgreiche Qualifikation von Trinidad & Tobago für die Weltmeisterschaft 2006 darstellt. Ausgehend von einem kurzen soziologischen Abriss zur Bedeutung des Fußballs in Lateinamerika im Spannungsfeld zwischen Kirche und Politik werden Einleitungen zu den Hauptthemenkreisen des vorliegenden Buches und seinen einzelnen Beiträgen gegeben: Unter Stilfragen nimmt sich K. Woznicki mit „Frankensteins Monster versus das Phänomen“ den bestehenden Klischees vom Latino-Kicker und des übersteuerten Unterhaltungssystems Fußball an, während J. Dunkhorst in „Linker Fußball – Rechter Fußball“ den „Linken Fußball“ und dessen Erfinder und Ideologen, den Argentinier Cesar Luis Menotti, porträtiert; W. Kaleck schildert in „Fußball und Menschenrechte“, wie die DFB-Funktionäre als willfährige Erfüllungsgehilfen der blutigen argentinischen Militärjunta auftraten und O. Burkert analysiert in „Von nationalem Interesse“ die entsprechende Berichterstattung der deutschen Medien hierzu. Unter Von Göttern und Helden bzw. Ballspiele und Geschichte(n) werden Porträts der beiden Überfiguren und vergötterten globalen Superstars Diego Maradona („Rebell Maradona“ von B. Anaya; „Der Held des Entrinnens“ von D. Iturizza) und Pele („Mythos Pele“ von A. Behn) sowie der Fußballer Alfredo Di Stefano – „Der blonde Pfeil“ (K.-L. Hübener), „Hugo Sanchez Marquez – Der polemische Goldjunge Mexikos“ (E. Völpel), Carlos Valderrama – „El Pibe“ (D. Azzellini) und Jose Luis Chilavert – „Linker Hammer“ (A. Dahlmeyer) vorgestellt, während E. Fontana in „Argentinische Stars im Ausland und Krise des Fußballs im Land“ die Situation des argentinischen und S. Thimmel in „Uruguay: Nostalgie und Krise des zweifachen Weltmeisters“ die des uruguayischen Fußballs analysiert; A. Dahlmeyer schildert in „Argentinien – Gewinnen oder Sterben“ die immer weiter zunehmende Gewalt in argentinischen Stadien; Th. Faltheuer beschäftigt sich in „Fragmente einer Theorie des brasilianischen Fußballs“ u. a. mit der Frage, ob es tatsächlich so etwas wie einen brasilianischen Fußball gibt; „Das antiheroische Wesen des mexikanischen Fußballs“ wird von B. Anaya in einem essayistischen Text analysiert und auch der von E. Völpel porträtierte mexikanische Verein PUMAS ist insofern etwas besonderes, da er sich bis heute im Besitz der größten öffentlichen Hochschule Lateinamerikas befindet und kein auf Profit ausgerichtetes Unternehmen ist. P. Castillo beschreibt den „Kampf der kolumbianischen Fußballprofis für das Recht auf Arbeit“ und sein Scheitern. J. Paffenholz und R. Jarrin schildern in ihrem Länderporträt „Si puede – Ja, wir können es“ die Fußballverrücktheit in Ecuador, die in ähnlicher Form auch in Costa Rica anzutreffen ist, wie F. Moritz in „Särge, Songs und Pura Vida“ feststellt.
Breiten Raum wird der Professionalisierung und Kommerzialisierung gewidmet, wozu auch die Aktualität der Rassismus-Problematik gehört, wie K.-L- Hübener in „Urubu oder Rassismus in und um Stadien herum“ darlegt. Mit den Machenschaften der Spielerberater, den internationalen SpielerInnenhandel und der ökonomischen Bedeutung für ihre Herkunftsländer beschäftigen sich gleich mehrere Beiträge: K.-L. Hübener porträtiert in „Gracias Paco oder das Casal-Imperium“ den Fußballunternehmer Pablo Casal, der Spielertransfers, die nationale Liga und die Fernsehrechte des Fußballs in Uruguay kontrolliert; M. Ling legt mit „Kreativer Spielerhandel in Lateinamerika“ die Strukturen dieses Geschäfts offen und G. Dilger erläutert in „Von Havelange bis Anderson“ die Folgen dieses Ausverkaufs für den brasilianischen Fußball; A. Krämer stellt in „Grobes Foul von Adidas, Nike and Co.“ den fast grenzenlosen Einfluss und die finanzielle Macht der Sportartikelhersteller in Zusammenhang mit den miserablen Arbeitsbedingungen und Niedriglöhnen dar und die Regeln im internationalen Fußball überträgt U. Brand in „Global Governance: Kooperation im Wettbewerb“ auf die politische Ebene. Einen Überblick über den Frauenfußball liefert C. Eisenbürger in „Förderung? – Fehlanzeige!“; welche Konsequenzen das für die spielenden Frauen und Mädchen hat wird in dem Interview „Man sitzt auf der Bank und muss mit der Kälte kämpfen“ deutlich, das E. Harzer mit zwei brasilianischen Spielerinnen von Turbine Potsdam führte; in „Mädchen im Macholand“ schildert sie zudem die frustrierenden Erfahrungen beim Versuch in Honduras eine Frauenmeisterschaft einzuführen; positivere Erfahrungen machte dagegen D. Pesara, der in „¡Muchachas adelante!“ über seine Arbeit als Frauenfußballtrainer in Nicaragua berichtet; A. Schulte porträtiert in „Mario, Marimacho und Marigol“ die für den FC Barcelona spielende Mexikanerin Maribel Dominguez Castelan und G. Eisenbürger erzählt in „Das Wahnsinntor“ die Geschichte der Jamaikanerin Beverly Ranger, die Frauenfußball in den 1979er Jahren in der BRD populär machte. Welche Faszination Fußball auf Intellektuelle in Lateinamerika ausübt wird unter Fußballkultur in K.-L. Hübeners Interview mit dem uruguayischen Schriftsteller Eduardo Galeno „Ich bin in den Fußball vernarrt“ widergespiegelt und auch der lateinamerikanische Film hat den Ball aufgenommen, wie B. Bremme in „Ein seltenes Gastspiel“ darlegt. Fußballpolitik: Wie in anderen Weltregionen nutzt auch die Politik in Lateinamerika den Fußball als Vehikel eigener Interessen, doch dabei ist die politische Instrumentalisierung des Fußballs nicht nur den Diktaturen und Militärjuntas vorbehalten: in „Chile si – Junta no!“ schildert P. Schlagenhauf minutiös den Verlauf der Protestaktion gegen die chilenische Militärjunta im Berliner Olympiastadion beim Spiel Chile gegen BRD anlässlich der Weltmeisterschaft 1974. Bestimmte Geschichten prägen das (Fußball)Bild, das man sich in Europa von Lateinamerika macht. In „Fußballkrieg – Der Konflikt zwischen El Salvador und Honduras“ entmystifiziert G. Eisenbürger das Klischee einer dieser „ewigen Geschichten“, die Sportjournalisten stets zum Besten geben. Einen Fall von ganz spezieller Mischung aus Fußball und Politik in Bolivien beschreibt D. Hoffmann in „Der Fußballverein Pachakuti von Felipe Quispe. Sport und Jugendarbeit oder Aufbau einer Guerilla-Truppe?“. Und einen zumindest sozialen Ansatz verfolgen auch die meisten Fußballprojekte für benachteiligte Jugendliche, wie S. Jennerjahn in „Ball und Bildung“ am Beispiel eines solchen Projektes in Rio de Janeiro berichtet. Fußball und Politik versuchen auch die mexikanischen Zapatistas unter einen Hut zu bringen: D. Azzellini beschreibt in „Zapatismus, Fußball und Rebellion“ die Zusammenarbeit italienischer Fan-Gruppen und dem Verein Inter Mailand mit den Zapatistas. Aus Italien stammt zudem auch eine weitere beeindruckende Initiative, die Mondiale Antirazzisti, deren Geschichte S. Kreuseler und M. Durchfeld in „Freedom through Football“ erzählen. Order (unter Verwendung von wörtlichen Textpassagen)