"Der Sport ist der praktische Arzt am Krankenlager des deutschen Volkes" : Wolfgang Kohlrausch (1888 - 1980) und die Geschichte der deutschen Sportmedizin

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Bibliographische Detailangaben
Englischer übersetzter Titel:"Sport is the general practitioner of the German people at it's sickbead" : Wolfgang Kohlrausch (1888-1980) and the history of the German sports medicine
Autor:Uhlmann, Angelika
Gutachter:Leven, Karl-Heinz; Brüggemeier, Franz-Josef
Veröffentlicht:Bielefeld: Mabuse-Verl. (Verlag), 2005, 345 S., Lit.
Beteiligte Körperschaft:Universität Freiburg / Institut für Ethik und Geschichte der Medizin
Forschungseinrichtung:Universität Freiburg / Philosophische Fakultät
Hochschulschriftenvermerk:Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 2004
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Monografie
Medienart: Elektronische Ressource (online) Gedruckte Ressource
Dokumententyp: Hochschulschrift Dissertation
Sprache:Deutsch
ISBN:3938304138
DOI:10.1007/BF03176044
Schriftenreihe:Mabuse-Verlag Wissenschaft, Band 96
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200703000610
Quelle:BISp

Abstract des Autors

Anhand des Lebenslaufs des Sportmediziners Wolfgang Kohlrausch (1888-1980) wird die Geschichte der Sportmedizin und Krankengymnastik in Deutschland vom Kaiserreich bis in die Bundesrepublik verfolgt. Kohlrausch ist ein typischer Vertreter der bürgerlichen Elite im 20. Jahrhundert: geboren und aufgewachsen im Kaiserreich in einer deutschen Gelehrtenfamilie, standesgemäßes Studium der Medizin, Frontsoldat im Ersten Weltkrieg und während dieser Zeit Heirat mit einer Professorentochter, Beginn der beruflichen Karriere im Berlin der Weimarer Republik, Krönung der Laufbahn durch ein Ordinariat im »Dritten Reich«. Nach den Entnazifizierungsprozeduren fasst er beruflich nach dem Krieg zwar nicht im universitären Umfeld, aber doch respektabel als Leiter einer Klinik wieder Fuß und bleibt bis zu seinem Tode fachlich und standespolitisch seinem Fach, der Sportmedizin, verbunden. Durch die Geschichte der Verbindung zwischen Medizin und Bewegung zieht sich seit den frühesten Anfängen im Altertum eine konstante Affinität zu der Erziehung der Jugend, Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung und, damit verknüpft, eine Verbesserung des militärischen Potentials. Die Medizin in ihrem Übergang von der Heilkunde zur Naturwissenschaft fand in der Körperertüchtigung einen Verbündeten. Die aufkommende Sportbewegung, begleitet von der Wiederbelebung der Olympischen Spiele um die Jahrhundertwende, unterstützte die Verbreiterung der sportmedizinischen Basis. Einen entscheidenden Impuls für Sportmedizin und Krankengymnastik setzte der Erste Weltkrieg: die Versorgung der Verwundeten und der Ersatz für den durch den Versailler Vertrag verbotenen allgemeinen Wehrpflicht durch den Sport, brachte in der Weimarer Republik Bewegung in die Belange der Sportmedizin. Die völkisch-nationale Ausrichtung des Sports bewegte sich zwischen erlaubter sportlicher Betätigung und verbotener militärischer Ausbildung der Jugend, die Sportmedizin zwischen gesundheitsfürsorgerischen und militärmedizinischen Interessen. Die Nationalsozialisten konnten 1933 bei der Einführung ihrer naturheilkundlich orientierten »Gesundheitsführung« auf die Arbeit der Sportarztbewegung zurückgreifen. Zur Gesunderhaltung des »Volkskörpers«, zur Steigerung der Wehrfähigkeit und zur Prophylaxe von das Gesundheitssystem belastenden Krankheiten stellten die »körperlichen Ertüchtigungen« ein probates Mittel dar. Kohlrausch wechselte 1941 vom Sportärztlichen Institut Freiburg auf ein Ordinariat für Bewegungstherapie an der nationalsozialistischen Reichsuniversität Straßburg. Diese war ein Teil der »wissenschaftlichen Kriegsführung gegen den Westen« und Kohlrauschs Fachgebiet innerhalb der Sportmedizin, die Krankengymnastik, war äußerst »kriegswichtig« für die Versorgung der verwundeten Soldaten der Wehrmacht. Die Beteiligung von Ordinarien der Medizinischen Fakultät an den grausamen Menschenversuchen im Konzentrationslager Natzweiler-Struthof stellt die Reichsuniversität Straßburg in das Zentrum der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Dem innenpolitische Wert der »Körperertüchtigung« der Jugend durch den Sport wurde durch sportpolitische Maßnahmen in Schule, Hochschule und Organisationen Rechnung getragen. Erst als das NS-Regime den außenpolitischen Wert der propagandistischen Möglichkeiten für das »Dritte Reich« erkannt hatten, förderten sie die Vorbereitungen für die Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Die Bedeutung der Olympischen Spiele ging weit über den sportpolitischen Rahmen hinaus. Wie schon bei dem gesellschaftlichen Systemwechsel von der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus hat sich die Sportmedizin bei dem Wechsel zur demokratischen Bundesrepublik erstaunlich schnell wieder etabliert. Unter der Federführung des als Nicht-Parteimitglied nicht der Entnazifizierung zugeführten Galionsfigur Carl Diem wurde in der direkten Nachkriegszeit schon 1947 die Nachfolgeeinrichtung der DHfL, die Sporthochschule in Köln gegründet, die eine Signalwirkung auf den Neuetablierung des Sports und der Sportmedizin bewirkte. Trotz des wachen Auges der Alliierten, die die Verknüpfung von Sport und Militarismus und die »politische Leibeserziehung« ganz aus Deutschland verbannt sehen wollten, konnten sich die alten Protagonisten wieder an die Spitze der Verbände setzen und die »Kräftigung und Gesundung der Jugend« durch Sport setzte sich als Prämisse der Gesundheits- und Sozialpolitik wieder durch. Bemerkenswert ist die Kontinuität, mit der Kohlrausch über alle gesellschaftlichen Systemwechsel hinwegkam. Dass unter den Staatsformen, denen Kohlrausch und seine Mitstreiter die Nützlichkeit des Sports angetragen gaben, auch das verbrecherische System des Nationalsozialismus war, hat sie nicht gestört. Im Gegenteil: der Biologismus und Militarismus des »Dritten Reiches« kam ihren gesellschafts- und gesundheitspolitischen Vorstellungen sehr entgegen - so sehr entgegen, dass sie hinterher von gar nichts mehr wussten. Verf.-Referat

Abstract des Autors

With the means of the course of life of the sports medicine, Wolfgang Kohlrausch (1888-1980), the history of sports medicine and physiotherapy in Germany will be shown. Kohlrausch is a typical protagonist of the intellectual elite of the 20th century: born and brought up in the Wilhelminian era in a German family of scholars, in accordance with that study of medicine, soldier in World War I, marriage with a professor's daughter, the beginning of career in the Weimar Republic, the top of his career with a university chair at the national socialist »Reichsuniversität Straßburg«. After his denazfication Kohlrausch didn't succeed in getting a university chair again. But he was head of a clinic for exercise treatment in the Black Forest. Remarkable is, how Kohlrausch and the sports medicine passed all changes in society - even the changes to the »Third Reich« and afterwards to the democratic system of the Federal Republic of Germany. Verf.-Referat