Sportlergesichter: Pathognomische Spuren in extremen Gefühlslagen

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Ränsch-Trill, Barbara
Erschienen in:Olympisch bewegt : Festschrift zum 60. Geburtstag von Prof. Dr. Manfred Lämmer
Veröffentlicht:Köln: 2003, 471-487, Lit.
Herausgeber:Deutsche Sporthochschule Köln / Institut für Sportgeschichte; Deutsche Sporthochschule Köln / Carl-und Liselott-Diem-Archiv
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200703000556
Quelle:BISp

Abstract

Das menschliche Gesicht im Moment des Sieges bzw. der Niederlage war seit jeher ein beliebtes Motiv des Theaters. In der Antike trugen die Schauspieler Masken, um diese übersteigerten Emotionen transportieren zu können. Sinnbildlich für die Unheimlichkeit des menschlichen Gesichtsausdrucks und der Angst vor dieser stand in der griechischen Mythologie das Haupt der Medusa. Züge von Unheimlichkeit nimmt der menschliche Gesichtsausdruck in allen extremen Situationen an, zum Beispiel im Moment des Sieges oder der Niederlage. Die Züge sind aufgelöst, sie sind gleichsam „aus den Fugen“. Die entgleisenden oder sich verkrampfenden Züge signalisieren einen temporären Selbstverlust oder eine momentane Selbstübersteigerung. In diesem Sinne ist die Physiognomie die Theorie der Architektur des menschlichen Antlitzes, die Pathognomie jedoch die Theorie der Dynamik der menschlichen Gesichtszüge. Sieg und Niederlage sind die Endprodukte einer körperlichen oder geistigen Auseinandersetzung. Im Sieg erreicht das Individuum die schärfste Abgrenzung gegenüber anderen Individuen. Der Sieg ist somit ein Höhepunkt äußerster „Vereinzelung“. Entsprechend empfindet der Verlierer in der Niederlage seine Auflösung aus der Vereinzelung in die Ununterscheidbarkeit. Die bildenden Künste haben sich immer wieder mit dem Anblick des Siegers bzw. des Verlierers beschäftigt. Prototypisch für den Sieger ist der „David“ von Michelangelo, während Marsyas das mythische Bild des Verlierers verkörpert. Im Sport stellt das „Medusenhaupt“ der Sieger und Verlierer für den Rezipienten das Modell der Grenzüberschreitung vom Bedrohlichen zum angenehm Erschütternden, zum Erlebnis der ästhetischen Distanzierung dar. Im geregelten Rahmen des Sports macht die Siegergeste die archaische Gewalt sichtbar, die im Untergrund des Spiels als Kampf um Leben und Tod wirksam ist. Die Siegertrophäe symbolisiert so den besiegten Feind. (Amendt)