Die Professionalisierung des Fußballsports

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Bibliographische Detailangaben
Autor:Lindner, Rolf
Erschienen in:Der Satz "Der Ball ist rund" hat eine gewisse philosophische Tiefe. Sport, Kultur, Zivilisation
Veröffentlicht:Berlin: Transit Buchverl. (Verlag), 1983, S. 56-66, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200512003062
Quelle:BISp

Abstract

Im 19. Jahrhundert galt es als durchaus ehrenrührig für einen Gentleman, sich mit Berufssportlern gemein zu machen. Dass es nicht dazu kam, dafür sorgte der sog. ‚Gentleman-Paragraph’. Berufssportler jener Zeit waren vor allem Preisboxer und Schauläufer, die um auf ihre Zuschauer zu kommen, immer tolldreistere Laufkunststücke erfinden mussten, wie jener F. Sass aus Lübeck, der als Ballett-Rückwärts-Kunst-Schnell-Läufer „rühmlichst bekannt“ war. Selbst die Lohnarbeiterexistenz galt als unvereinbar mit dem Amateurstatus. Zu Anfang des 20, Jahrhunderts trat an die Stelle des aristokratischen Gentleman-Amateurideals das Bild vom „wahren Sportsmann, der „immer zuerst ganzer Mann in einem bürgerlichen, wissenschaftlichen oder anderen Beruf ist“. Der Sport wurde nunmehr als Lebensschule verstanden, als „schönste Nebensache“ der Welt für Menschen, „die Sport aus Neigung treiben, ohne daraus eine Abneigung gegen ihren Beruf werden zu lassen“. Der DFB spielte als Hüter des Amateurideals eine besondere Rolle. Der Berufssport wurde als Degenerations- und Zivilisationserscheinung gewertet, dem der Amateursport, in sozialdarwinistischer Terminologie gefärbt, als „Edelsport“ gegenübergestellt wurde. Ähnlich wurde auch in England, dem Mutterland des modernen Sports, argumentiert, jedoch mit dem Unterschied, dass dort bereits 1885 der Berufsfußball offiziell eingeführt wurde. Damit zog man die Konsequenzen aus Professionalisierungstendenzen bei Pokalspielen, die sich vor allem in der Ausleihe hervorragender Spieler niederschlugen. Die Legalisierung des Berufsfußballs sollte solchen Praktiken einen Riegel vorschieben und den Vereinsvorständen, die nunmehr Arbeitgeber waren, eine stärkere Kontrolle über die Spieler ermöglichen. Der Vollprofi setzte sich allerdings erst nach 1900 als Normalerscheinung durch, wobei interessant ist, dass nunmehr vor allem ehemalige Bergleute unter den Spielern überrepräsentiert waren. Das Motiv, Berufsfußballer zu werden, war nicht nur finanziell bedingt, sondern es handelte sich dabei immer auch um eine Entscheidung gegen die Industriearbeit. Diese Haltung kann bis in die 50-er Jahre als durchaus charakteristisch für die britischen Berufsfußballer angesehen werden. Die mit dem Profifußball assoziierten Begleitumstände (Starrummel, Kommerz und Show) waren jedoch selbst in England nicht vor den späten 50-er, frühen 60-er Jahren vorhanden. Als Wendepunkt wird für England gemeinhin die Abschaffung der Höchstgehaltsgrenze und die Freigabe der Transfersummen in der Saison 1960/61, für die Bundesrepublik Deutschland die Einführung der Bundesliga in der Saison 1963/64 angesehen. Der entscheidende Anstoß zur Vollprofessionalisierung war bereits durch die Einführung des Europacups der Landesmeister im Jahre 1956 gegeben worden. Durch den Europacup wurde der Vereinsfußball außerdem internationalisiert und medialisiert. Mit der Internationalisierung und Massenmedialisierung des Vereinsfußballs ist ein dritter Faktor untrennbar verbunden: die Kommerzialisierung des Fußballsports bzw. dessen Umfeldes, die überhaupt erst die Professionalisierung im großen Stil möglich machte, zugleich aber zur Verwirklichung ihrer Interessen auf die Internationalisierung und Medialisierung angewiesen ist. Der Profifußball als Showsport stellt, zusammenfassend betrachtet, eine Symbiose von Sport, Kommerz und massenmedialer Präsentation dar. Symbiotisch ist diese Beziehung, da keines der Elemente ohne die jeweils anderen auskommt. Im Kontext der Entwicklung des Fußballsports zum Showsport wurde der Fußballheld zum Fußballstar, der Anhänger zum Fan und der traditionelle Sportberichterstatter, der eigentlich Statistiker war, zum Showmaster. Solche Veränderungen haben nicht zuletzt Rückwirkungen auf die soziale Zusammensetzung von Spielern und Zuschauern. Weder was die soziale Herkunft der Spieler noch die der Zuschauer angeht, kann heute beim Fußballspot noch vom sog. Proletensport die Rede sein. Der Spitzenfußballsport ist zur Angelegenheit der Mittelschichten geworden. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)