Von sportsmen und einfachen Leuten

Gespeichert in:
Bibliographische Detailangaben
Autor:Lindner, Rolf
Erschienen in:Der Satz "Der Ball ist rund" hat eine gewisse philosophische Tiefe. Sport, Kultur, Zivilisation
Veröffentlicht:Berlin: Transit Buchverl. (Verlag), 1983, S. 22-37, Lit.
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200512003061
Quelle:BISp

Abstract

Es würde ein falsches Bild entstehen, wenn man den Fußballsport als Arbeitersport bezeichnen würde. Begonnen hat es nämlich ganz anders, zwischen 1830 und 1840 an den englischen Public Schools (Rugby, Eton, Harrow), wo die kommende gesellschaftliche Elite ausgebildet wurde. Es war vor allem die Public School von Rugby, von der der moderne Fußballsport seinen Ausgang nahm. Eine zentrale Rolle spielte dabei der Schulleiter von Rugby, Thomas Arnold, der den Wert des Fußballspiels als Erziehungsmittel erkannte und es für seine Erziehungsreform nutzte. Unter seinem Einfluss wurde aus dem immer noch sehr rauen Spiel ein geregelter Sport, der der Charakterbildung der Sporttreibenden dienen sollte. Nicht zufällig nahm die Erziehungsreform und die mit ihr verbundene Sportbewegung von Rugby ihren Ausgang, denn die Schüler von Rugby stammten im Unterschied zu denen von Eton und Harrow zu einem außerordentlich geringen Prozentsatz (der niemals 7 % der Schülerschaft überstieg) aus dem Adel. Die Schüler von Rugby repräsentierten den Nachwuchs des modernen Bürgertums. Der Durchsetzung der Verhaltensstandards diente das Regelwerk, das erstmals 1846 schriftlich niedergelegt wurde. Diese Regeln waren nach heutigem Standard noch nicht weit entwickelt und ausdifferenziert, sie enthielten aber erstmals Richtlinien hinsichtlich Umfang und Grenzen des körperlichen Einsatzes beim Spiel, deren Tenor man mit „hart, aber fair“ beschreiben kann. Die historisch absolut neue, schriftlich festgelegte Unterscheidung von legitimer und illegitimer Gewalt weist auf den pädagogischen Charakter des Spiels hin. Bekanntlich wurde in Rugby noch mit „Aufnehmen des Balles“, also mit Hand und Fuß gespielt. 1849 folgte Eton mit einem eigenen Regelwerk, das, um sich vom Konkurrenten Rugby abzusetzen, das Fußballspiel als reines Fußballspiel (also unter Bestrafung des Handspiels) fixierte. Offensichtlich ist im Verbot des Handgebrauchs ein zusätzliches Disziplinierungselement enthalten. Aber über den Beitrag zur Disziplinierung und Zivilisierung des Spielverhaltens hinaus ist das Regelwerk von grundsätzlicher Bedeutung für den Verbürgerlichungsprozess, dessen Ausdruck und Mittel das Fußballspiel ist. Der moderne Fußballsport ist aber nicht nur hinsichtlich seiner Verregelung ein bürgerlicher Sport, sondern, in seiner Entstehungsphase auch in Bezug auf die soziale Stellung der Sportler. So bestand in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg die Nationalmannschaft fast ausschließlich aus (angehenden) Akademikern. Zu den Arbeitern kam der ursprünglich bürgerliche Fußballsport im Wesentlichen über drei institutionelle Zusammenhänge: Kirche, Betrieb und Kneipe. Hinzu kamen die selbstorganisierten Straßen- und Wohnviertelmannschaften. Abgesehen von diesen vier Bereichen gab es in Deutschland noch eine weitere Quelle, die als deutsche Besonderheit einzuschätzen ist, nämlich der Fußballsport, der im Rahmen der sozialistischen Arbeitersportbewegung organisiert wurde. Schiffer (unter Verwendung wörtlicher Textpassagen)