Brauchen wir ein schärferes Jugendstrafrecht? Zur politischen Interpretation der Kriminalstatistiken

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Autor:Böllert, Karin
Erschienen in:Verordnete Defensive : ausgewählte Dokumente der 6. und 7. Bundeskonferenz der Fan-Projekte in Karlsruhe und Berlin sowie der 3. Fan-Projekte-Werkstatt in Nürnberg
Veröffentlicht:Frankfurt a.M.: 2000, 37-49, Lit.
Herausgeber:Deutsche Sportjugend / Koordinationsstelle Fan-Projekte
Format: Literatur (SPOLIT)
Publikationstyp: Sammelwerksbeitrag
Medienart: Gedruckte Ressource
Sprache:Deutsch
Schlagworte:
Online Zugang:
Erfassungsnummer:PU200503000673
Quelle:BISp

Abstract

In der Auseinandersetzung mit dem Problem der Jugendkriminalität und -gewalt wird in den Medien immer bevorzugt aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) zitiert. Dabei bleiben die Schwächen dieser Form der statistischen Erfassung weitgehend unberücksichtigt. Bei Straftaten mit niedriger Aufklärungsquote lassen sich beispielsweise kaum Rückschlüsse auf die Struktur der Tatverdächtigen eines Deliktbereiches ziehen. Zudem wird nur ein Teil der begangenen Straftaten zur Anzeige gebracht und so der Polizei bekannt. Gründe hierfür können sein: Verkennen der strafrechtlichen Relevanz, vermutete geringe Aufklärungschancen, Scham, Angst, persönliche Bekanntschaft zwischen Opfer und Täter und/oder eine außerpolizeiliche Regelung zwischen den Beteiligten. Zudem müssen bei der Interpretation der PKS die teils erhebliche zeitliche Erfassungsverschiebung gegenüber den Tatzeiträumen, die Schwierigkeiten bei der Einordnung der Straftaten, die Dunkelfeldforschungen und die Tatsache, dass Jugendkriminalität ein erhöhtes Aufmerksamkeitsspektrum besitzt und daher vergleichbare Straftaten im Vergleich zu erwachsenen Tätern vermehrt zur Anzeige gelangen, berücksichtigt werden. So stellt sich die Situation trotz teilweiser ernüchternder Zahlen (Verdreifachung der jugendlichen Tatverdächtigen in den alten Bundesländern seit 1984, im Osten teilweise Zuwachsraten von 600 Prozent über einen Zeitraum von sechs Jahren) als nicht so alarmierend dar, wie in der Öffentlichkeit gerne behauptet wird. Die wiederholte Berichterstattung über jugendliche Gewalt im Fernsehen fördert die Wahrnehmung einer Verschärfung der Problematik genauso wie einige wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Thematik, die in ihrem Untersuchungsdesign zu kurz greifen. Als Ursachen für den trotz aller Relativierungen nicht wegzudiskutierenden Anstieg der Jugendkriminalität sind zu nennen: Zunahme an frei verfügbarer Zeit und damit Tatgelegenheiten, Verlust kultureller Milieus und der Zugehörigkeit zu Gemeinschaften, Wertewandel und daraus resultierend stärkere Ich-Bezogenheit sowie der Autoritätsverlust von Eltern und Lehrern. Fürhoff